Hexen in der Stadt
Offizier! Ich werd’ mir’s überlegen. Ihr hört dann von mir.«
Ehe er sich von seinem Staunen erholt hatte, sah er die beiden leichtfüßig die Stufen hinunterlaufen und in der Gasse verschwinden.
Die Babelin war die Treppe hinuntergestiegen, an deren Fuß ihre beiden getreuen Schildknappen warteten. »Ich will heim!« sagte sie und faßte die Hand des Gesellen. Der Student blickte drohend nach oben und machte eine Bewegung, sie zu schützen. Aber es war nicht nötig. Der Herzeller stand an der Treppe, bleich, ein Geschlagener, und blickte den dreien nach, wie sie aus dem Hof gingen.
Endlich brach der Geselle das Schweigen und fragte, was denn nun werden solle. Der Student erinnerte ihn daran, daß nun der Augenblick da sei, Ernst zu machen mit den großen Versprechungen. Wie sei es denn mit der bewußten Pforte in der Stadtmauer, durch die so leicht die Flucht zu bewerkstelligen sei?
»Doch nicht heute nacht!« wehrte der Geselle ab. Ohne Abschied und Segen des Vaters, und ohne das geringste mitzunehmen, sei das doch ein unbesonnenes Wagnis.
»Morgen kann es zu spät sein«, warnte der Student und flehte die Babelin an, zu sagen, was sie selbst wolle.
Sie blieb stehen und sagte zum Gesellen: »Du glaubst es? Ist eben auch von mir.« Er wollte widersprechen, aber sie fuhr fort: »Ihr alle glaubt es, das weiß ich jetzt. Sonst wärst du nicht so bedenklich geworden. Nein, laß nur! Für mich gibt’s nur eins. Wer dreimal die peinliche Frag’ übersteht…«
»Aber das gilt doch nicht mehr«, rief der Student verzweifelt. »Wer erst dahin kommt, ist verloren.«
»Ich hab’ keine Wahl, will ich meine Unschuld beweisen«, sagte das Mädchen und sprach kein Wort mehr, bis sie an der Tür des Schreinerhauses Abschied nahmen.
Die ganze Nacht irrte Johannes Schwegler in den Gassen umher und sann verzweifelt auf einen Ausweg. Als er früh am Morgen wieder an die Haustür klopfte, war die Babelin gerade abgeholt worden.
Der Vater begriff es nicht. Er hatte nicht gewußt, was seine Tochter bedrohte. Weil er aber ein gläubiger Mann war, so war er bald überzeugt, daß sie wirklich eine Hexe sei. »Sie ist viel zu schön für ihren Stand, das hätte mich längst stutzig machen müssen, genau wie ihre Mutter, die ja auch beinahe eine gewesen ist.« Wirklich war die verstorbene Margarete Göbelin in jungen Jahren einmal in Verdacht gewesen und sogar verhört, aber freigesprochen worden, was damals noch vorgekommen sein sollte. Die Nachbarn erinnerten sich nun wieder daran und fanden das Schicksal der schönen Schreinerstochter genügend erklärt. Der Geselle sagte ganz verstört zum Schwegler, er wolle fort aus der Stadt, ehe es mit der Babelin zum Ende komme. Das ertrüge er nicht. » Sie wird es ertragen müssen«, sagte der Student bitter und dachte: Auch du hast sie im Stich gelassen, ich auch, wir beide. Aber sie soll nicht allein bleiben im Unglück.
Er ging zum Herzeller Hof und verlangte den Kornett zu sprechen. Der aber war noch in der Nacht zum Heer aufgebrochen, ein ganz verwandelter Mensch, nicht mehr er selbst. »Die Hex’ hat ihn unter«, sagte der alte Diener, der diese Auskunft gab, grimmig. »Mit der hätt’ er sich gar nicht wieder einlassen dürfen.«
Er allein hätte sie retten können, dachte der Student. Ich wünsch’ ihm nur, daß er das erkennt und sein Leben lang dafür büßen muß.
Er ging, und von diesem Augenblick an verlor sich seine Spur in der Stadt. Auch seine nächsten Freunde wußten viele Tage lang nicht, wo sie ihn suchen sollten. Erst später wurde gerüchtweise bekannt, der Student Johannes Schwegler sei an jenem Morgen bis in die fürstliche Kanzlei vorgedrungen und habe sich zum Verteidiger der verhafteten Göbel Babelin aufgeworfen. Dabei hätte er als Student der Rechte doch wissen müssen, daß es im Malefizprozeß keine Verteidiger gibt, am allerwenigsten einen, der sich selbst dazu anbietet. Es erfuhr auch niemand, was er eigentlich zugunsten seiner Mandantin vorgebracht habe, nur, daß er noch am gleichen Tage wie die Babelin gefänglich eingezogen worden war und unter der gleichen Anklage wie sie sein Urteil erwartete.
Die Musik aus dem Herzeller Hof klang durch das leise Regenrauschen der Frühsommernacht weithin über Dächer und Baumwipfel bis in eine verschlossene Dachkammer im Adelsseminar, wo ein Junker von etwa sechzehn Jahren auf den Knien vorgeschriebene Bußgebete murmelte. Er hob den Kopf zur Fensterluke empor und lauschte. Seit langer Zeit
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