Hexen in der Stadt
Tochter. Viel tat er sich auf seine Kenntnis alter Rechtsbräuche zugute und auf die eigene strenge Redlichkeit. Was er ihr raten würde, wenn sie ihn fragte, wußte die Babelin im voraus: sich dem Gericht stellen, damit ihre Unschuld erwiesen werde. Flucht sei allemal das Eingeständnis eines bösen Gewissens. So hatte er sich in anderen Fällen schon vernehmen lassen. Bis gestern hatte sie ihm geglaubt, nun wußte sie es besser. Ihr Entschluß war gefaßt. Der Schwegler hätte nicht immer wieder kommen und sie mahnen müssen, fest zu bleiben.
Noch einer kam. Der erste Geselle in ihres Vaters Werkstatt war schon lange verliebt in sie, wagte aber nicht, um sie anzuhalten, weil der alte Göbel, wie jedermann wußte, auf einen reichen Schwiegersohn aus war. Er mußte wohl etwas erlauscht haben oder auch gespürt mit dem Argwohn der Eifersucht. Er kam zu Babelin in die Küche und fragte fast drohend, was sie vorhabe.
Sie sagte es ihm. Er schnaubte spöttisch: »Wenn er’s nur ehrlich meint, der Herr Offizier!«
»Mir bleibt keine Wahl«, sagte die Babelin.
»Doch bleibt dir eine. Ich biete dir das gleiche an.«
»Das hab’ ich auch schon getan«, rief der Student eifersüchtig.
»Aber sie will ja nur den Herzeller.«
»Das gleiche«, fuhr der Geselle fort. »Aus der Stadt kann ich dich auch bringen, und der nächste Dorfpfarrer hinter der Grenze soll uns trauen. Als Schreiner find’ ich überall mein Fortkommen.«
Das Mädchen sah die beiden mit nassen Augen an. »Ihr beide würdet zu viel wagen. Euch das Leben verderben, euch heimatlos machen, das will ich nicht. Der Herzeller wagt nichts dabei.«
»Eben! Drum traue ich ihm nicht«, sagte der Geselle.
»Das kannst du halten, wie du willst. Ich trau’ ihm.«
Danach war nichts mehr über den Plan zu sagen. Nur der Johannes Schwegler gab es noch nicht auf. »Du willst keine Hilfe von uns, brauchst sie wohl auch nicht. Aber wir gehen heut abend mit, als deine Brautführer, wenn du willst. Es soll jemand in der Nähe sein, wenn du Hilfe brauchst. Eingeladen sind wir ja nicht. Wir werden auch nur am Tor warten und erst heimgehen, wenn wir wissen, daß du in Sicherheit bist.«
Sie wurde rot, diesmal nicht vor Zorn, und fand keine Antwort. Gleich nach dem Abendläuten machten sie sich zu dritt auf den Weg, Babelin in der Mitte zwischen ihren Beschützern. Vom Herzellerhof schallte ihnen die Musik schon von weitem entgegen. Die Musikanten waren in großer Zahl eifrig herbeigeeilt und taten ihr Bestes. Denn ihr Brot war karg geworden, seit alle öffentlichen Lustbarkeiten und bei den häuslichen jeder Aufwand verboten waren. Heute gab’s eine Gelegenheit fast wie in alten Zeiten. Die Herren Offiziere pflegten nicht zu knausern, wenn es um ihr Vergnügen ging. Da hatten sie alle es eilig gehabt, ihre Instrumente zu stimmen und die schönsten Noten herauszusuchen, auch die neuen Tanzweisen aus Frankreich, die Pavanen und Gaillarden, die man noch kaum hatte spielen dürfen, in diesem Land, in dieser Zeit. Hei, die sollten heute klingen wie bei einem Fest am Kaiserhof!
Freilich, einer würde fehlen, den sie oft genug um seine hohe Kunst beneidet hatten, der sie immer wieder mitgerissen hatte, so daß ihre Musik oft genug mehr geworden war als ein simples Aufspielen zum Tanz. Der Tungersleber hatte noch nicht seinesgleichen gefunden. Aber es war besser, nicht an ihn zu denken. Sonst konnte es wohl geschehen, daß sich einem plötzlich eine fremde Hand aufs Griffbrett legte, eine Knochenhand, schwarz verkohlt vom Feuer des Scheiterhaufens. Vor allem mußte man sich hüten, jene seinerzeit so beliebte Pavane zu spielen, die der Tungersleber selbst in Töne gesetzt haben wollte, vielleicht aber nur aus Welschland mitgebracht hatte. Es gab manchen unter den Musikanten, den es ein wenig gruselte bei solchen Erinnerungen. Aber das mochte keiner wahrhaben. Sie täuschten übermütige Freude vor und legten sie auch in ihr Spiel, lange ehe die Gäste alle versammelt waren.
Auch deren Fröhlichkeit war nicht ganz echt. Allzu entwöhnt war die Jugend in dieser Stadt der Lustbarkeiten. Die wilde Munterkeit der Offiziere war ihnen nicht recht geheuer. Sie standen steif herum, fast schüchtern. Bald aber taten die vielen Lichter und der reichlich ausgeschenkte Wein – die Herzellerin opferte den minderen Ertrag der letzten zwei Jahre – ihre Wirkung, vor allem aber die Musik, die man so lockend, so mitreißend süß lange nicht vernommen hatte.
Die Fröhlichste von allen, die
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