Hexen in der Stadt
es weniger zugetraut hätte als ihr, gerade ihr. Vier oder fünf Personen haben bezeugt, daß sie beim Hexentanz gewesen ist. Da muß doch was dran sein.« Er brummte ablehnend. Aber ein Stachel war zurückgeblieben. War er am Ende zu leichtgläubig gewesen? Hatte sie ihn gestern abend auf irgendeine Weise betört? Er hatte sich ja schon über sich selbst gewundert. Er schüttelte die lästigen Gedanken ab und ging, sich um den Christoph zu kümmern. Der saß ganz verstört da und murmelte, den Kopf in den Händen, immer wieder das Gleiche: »Wenn ich’s nur wüßte! Beim Hexenwerk soll sie gesehen worden sein. Bei welchem nur, möcht’ ich wissen. Sie war die fleißigste Frau in der Stadt, hat die Bäckerei wieder hochgebracht nach dem Tod des Vaters. Wann hätte sie Zeit gehabt für solchen Unfug? Viele sind ihr neidisch gewesen. Aber das allein kann’s doch nicht sein. Wenn ich’s nur wüßte!«
Vom Christoph, das sah der Franz ein, konnte er weder Anteilnahme noch Hilfe erwarten für seinen Plan. Der mußte erst wieder er selbst werden, und dabei konnte ihm keiner helfen. Er ließ ihn allein und stieß im Flur auf einen Diener, der ihn holen sollte. Der Herr Dompropst sei gekommen. Mißmutig folgte der Herzeller. Mußte die Mutter während dieser kurzen Zeit daheim auch noch Fremde einladen!
Er begriff sogleich, warum. Der Dompropst kam nach ein paar höflichen Fragen schnell auf die besonderen, so unheimlichen Verhältnisse in dieser Stadt zu sprechen: »Wer in den letzten zwei Jahren nicht hier gelebt hat, der kann nicht wissen, wie tief die allgemeine Verderbnis ist und wie groß die Gefahr für allzu Arglose, in verständlichen Irrtum zu verfallen. Es ist dringend davor zu warnen, verdächtigen Personen in irgendeiner Weise nahezukommen oder gar ihnen Vertrauen zu schenken, mein wertgeschätzter junger Freund!«
Was denn ein Verdacht bedeute, und ob jeder, der hineingeriete, auch für schuldig befunden werde, fragte der Herzeller zwischen zornigem Erröten und Unbehagen.
Der Dompropst wiegte das Haupt. »Das heißt sehr geradezu gefragt, junger Freund. Irren ist menschlich, das will ich nicht bestreiten. Bedenkt indessen: Seit mehr als einem Jahr haben die besten und gelehrtesten Richter in dieser Stadt mehr als hundert Personen der Hexerei überführt und verurteilt. In anderen Städten und Fürstentümern ist es ebenso. Nicht nur Hunderte, Tausende sind während der letzten Jahre allein in deutschen Landen wegen Hexerei gerichtet worden. Wagt Ihr zu behaupten, so viele Richter hätten Fehlurteile gefällt? Nun, seht Ihr!«
Das war in der Tat das erste Argument, das dem Herzeller einleuchtete. Als der geistliche Herr, mit ergebenen Empfehlungen an die Frau Mutter, gegangen war, blieb er ganz verstört zurück, unempfänglich für die Neckereien der Kameraden, die ihn den Bräutigam wider Willen nannten. Als er sie endlich aufgebracht schweigen hieß, sagte der Catalani lachend: »Ihm kehrt die Vernunft zurück!«
Sie waren den ganzen Tag mit den Vorbereitungen für ihr Fest beschäftigt, wiesen ihre Dienerschaft an, dies und das zu besorgen, Musikanten zu bestellen und die Einladungen in der Stadt herumzutragen. Es waren nicht viele, die eingeladen werden konnten, gemessen an dem, was sich früher bei solchen Gelegenheiten im Herzellerhof versammelt hatte. Die Auswahl war nicht mehr groß. Die wenigen Adelsfamilien hatten sich, sofern sie es irgend konnten, auf ihre Schlösser oder auf die von Verwandten zurückgezogen, der unbekömmlichen Luft in der Stadt wegen. Von den übrigen schied für die Herzellerin jede Familie aus, von der irgendeiner wegen Hexerei verurteilt worden war. Mit solcherlei Leuten wünschte die edle Dame nun einmal nicht zu »konversieren«. So blieben nicht viele mehr übrig. Man mußte Bürgerliche laden, ein paar Ratsherrensöhne und ein knappes Dutzend hübscher Mädchen. Unter denen waren die Doktorstöchter und auch die Göbel Babelin, die der junge Herzeller durch den Studenten besonders einladen und von seinem Plan unterrichten ließ. Sie sollte von dem Tanz im Herzellerhof nicht mehr nach Hause zurückkehren.
Schweigend nahm sie alles hin, legte ihren Feststaat zurecht, tat ihre Hausarbeit und versorgte den Vater ganz wie sonst, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Denn der Vater durfte nichts wissen. Er war ein eigenwilliger und versponnener Mann, noch eigenwilliger und versponnener, seit ihm Frau und Kinder an der Pest gestorben waren bis auf diese eine schöne
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