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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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allem bares Geld, zusammenzuraffen und mitzunehmen, ach, und vielleicht einige von seinen Kompositionen. Denn was zurückblieb, würde verloren sein. Mit einem Male hatte er es eilig.
    Der Vikar stieg noch einmal hinauf zum Uralten. Der saß da, wie sie ihn verlassen hatten, die Hände auf dem Tisch gefaltet, die trüben Augen auf das Flämmchen der Lampe gerichtet, die sie vor ihm angezündet hatten. Der Vikar sagte ihm, daß die ganze Dienerschaft davongerannt sei, anscheinend im Einverständnis mit dem verräterischen Schreiber. So seien die Häscher wohl schon unterwegs, erwiderte der Uralte und mahnte die Freunde noch einmal zur Eile. Der Vikar zögerte. Ob er noch etwas für den Alten tun dürfe, das Feuer anzünden oder ihm etwas zu essen holen?
    »Macht, daß Ihr fortkommt!« war die Antwort.
    »Dann lebt wohl!« sagte der Vikar, blieb noch einen Augenblick stehen und ging dann wirklich.
    Der Uralte war allein. Er blickte unverwandt in die Lampenflamme, die er gerade noch wahrnehmen konnte, bewegte die Lippen und murmelte vor sich hin. Er hörte Türenschlagen, eilige Schritte im Hof, zuletzt das eiserne Gittertor zufallen. Dann kam jemand die Treppe herauf. Waren sie es schon? Nein, es war nur ein einzelner Schritt, und er kannte ihn.
    Die Tür ging auf, und die Stimme des Vikars sagte: »Ich bringe Euch Wein und ein wenig Brot, ich fand nicht gleich alles.« Er setzte Krug und Teller auf den Tisch, nahm einen Becher vom Wandbord, goß ein und schob alles vor den Alten hin, der es verwundert geschehen ließ. »Seid Ihr denn noch immer da?« fragte er vorwurfsvoll.
    »Nur ich«, erwiderte der Vikar. »Der Chorherr ist schon fort. Aber ich denke, morgen vor Tag ist es immer noch früh genug.«
    Der Uralte lächelte. »Holt Euch auch einen Becher!« brummte er. Aber der Vikar wollte erst noch das Feuer im Ofen anzünden, denn der Abend war kühl und die Luft frostig in dem alten Hause.
    »Ja«, stimmte der Uralte zu, »zündet es an! Noch tut es uns wohl, nicht weh.«
    Den Vikar schauderte es, während er Reisig und Scheite auflegte und den Funken auf den Zunder springen ließ.
    Danach hielten sie, nahe der Ofenwärme, ein langes, geruhsames Mahl, bei dem wenig gegessen, noch weniger gesprochen, aber viel getrunken wurde. Der Vikar dachte: Ich kann ihn doch nicht so ohne Hilfe allein lassen in dem leeren Haus, dazu den Tod vor Augen. Morgen früh kann ich ihm noch jemanden schicken, der für ihn sorgt – wenn ich jemanden finde, wo ihm seine Leute schon weggelaufen sind. Aber die Nacht über bleib’ ich bei ihm, wenigstens so lange, bis er zu Bett geht. Dazu machte der Uralte keinerlei Anstalten. In später Stunde lebte er auf. »Ich frag’ mich immer«, begann er, »wie groß unsere eigene Schuld ist an den Dingen, die uns jetzt zu verschlingen drohen.«
    »Aber ehrwürdiger Herr! Was habt Ihr je mit Malefizsachen zu tun gehabt, oder Euer Freund oder ich?«
    »Eben! Wir haben uns zu wenig darum gekümmert und haben es doch keimen und wachsen sehen durch lange Jahre, wenigstens ich. Bischof Julius hat damit angefangen, und um seines hohen Ansehens willen hat man’s von ihm hingenommen. Er werde schon das Rechte tun, glaubte jeder.«
    »Aber ist’s denn nicht das Rechte? Muß man sie nicht ausrotten, die Teufelsbuhlen und Gottesleugner?«
    »Das muß man, wer wollte das abstreiten? Aber noch nie hat ein Mensch danach gefragt, ob sie nicht anders bekämpft werden könnten, weniger grausam, aus dem Geist wahren Christentums.«
    »Das haben doch kaum wir zu verantworten. Die höchsten Autoritäten unserer heiligen Kirche…«
    »Seid Ihr sicher, daß wir damit davonkommen! Ich zum Beispiel hab’ mich immer gerühmt, ein Mann der Wissenschaft zu sein, ein Forscher der Naturgeheimnisse. Und wie schnell war ich bereit, alles Forschen aufzugeben, meine Küchel zu schließen, nur um des Verdachtes willen. Hab’s nicht gewagt, sie je wieder aufzumachen. Das ist’s. Hätt’ ich nicht im Gegenteil all meine Kenntnisse aufbieten müssen, das Dunkel zu vertreiben, eh’ es so überhandgenommen hat?«
    »Das Dunkel, sagt Ihr? So meint Ihr, daß diese Prozesse Unrecht sind?«
    »Denkt an die Kinder auf dem Karren! Dann begreift Ihr, daß – zumindest ein Maß überschritten wurde. Was hätten wir sonst zu fürchten, die wir doch wissen, daß wir schuldlos sind?«
    Der Vikar legte den Kopf in die Hände. Immer noch hatte er einen Rest von Zuversicht gehegt, es könnte doch vielleicht nach Recht und Gesetz zugehen und

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