Hexen in der Stadt
der Vikar totenbleich ins Stift gelaufen. In der Gasse hatte ihn ein Mann angesprochen und ihm mit wenigen geflüsterten Worten aufgetragen, den Uralten und seine Freunde zu warnen, des vermauerten Laboratoriums wegen, von dem jetzt auch das Malefizgericht wisse.
Wer war der Warner? Der Vikar hatte ihn nicht erkannt in der Dunkelheit. Auch hatte der Fremde den Hut tief in der Stirn und den Mantel halb vor das Gesicht geschlagen gehabt. Seine Sprache war die eines gebildeten Mannes gewesen mit dem Anklang einer fremden Mundart. Vielleicht war er einer vom Gericht, vielleicht ein Geistlicher gewesen. Der Vikar dachte an den fremden Pater, den Hexenbeichtiger, von dem man sich in letzter Zeit seltsame Dinge erzählte. Aber einerlei, es war nicht Zeit, darüber nachzudenken. Schreckensbleich stürzte er in die Stube des jüngeren Chorherrn und störte ihn beim Spiel auf dem Clavicord, das er mehr liebte als alle andern Musikinstrumente und meisterhaft spielte. Er fuhr herum, durchaus mißvergnügt über die Störung. Dann aber begriff er schnell und fluchte kräftig über den Schwätzer, der ihnen das eingebrockt habe. Denn wer das allein sein konnte, darüber waren sich die beiden sofort einig. Der Vikar erinnerte sich an seinen ersten, flüchtigen Verdacht an jenem Abend und wünschte, er wäre ihm gleich nachgegangen. Aber was wäre da noch zu retten gewesen? Und was half es, wenn sie jetzt noch den Jungen windelweich geprügelt hätten? Es war für alles zu spät.
Es zeigte sich, daß den jüngeren Chorherrn die Gefahr nicht unvorbereitet traf. Er hatte sich schon vorsorglich Gedanken gemacht, wie und wohin er sich im Notfall retten konnte. Er besaß ein Gütchen, gerade jenseits der Grenze, nur ein paar Stunden Weges von der Stadt, keinen bequemen Wohnsitz, nur ein Bauernhaus, in dem der Pächter ihnen ein paar Kammern einräumen mochte. Aber sie konnten dort unterschlüpfen, bis das Unwetter des Wahnsinns über der Stadt sich verzogen hatte. Schnell war der Fluchtplan fertig. Der Vikar sollte dem Uralten Bescheid sagen, dann aber noch an diesem Abend in der Vorstadt ein Fuhrwerk besorgen, das sie im Morgengrauen vor dem Tor erwarten sollte. »Wir beide könnten den Weg leicht zu Fuß machen. Aber wir dürfen den Alten doch nicht im Stich lassen.«
Der Vikar fand den Uralten im Dunkeln sitzen, mißgelaunt, weil sein Schreiber heute einen längeren Urlaub erbeten hatte, um seine Eltern in ihrem oberfränkischen Dorf zu besuchen, wohin sich ihm eine Reisegelegenheit bot. »Ich bin ohne Augen wie ohne Hand und Fuß. Es ist ungezogen, einen alten Mann so hilflos sitzenzulassen. Hätte er nicht für Ersatz sorgen können?«
Der Vikar hatte nun keinen Zweifel mehr, welche Rolle der ungeschickte und verschüchterte Schreiber in diesem Hause gespielt hatte, mochte er nun aus abergläubischer Angst oder aus berechneter Absicht zum Verräter geworden sein. Er unterrichtete den Uralten davon und von der drohenden Gefahr.
Begriff der ihn? Er saß ganz still und schüttelte den Kopf wie in nicht endender Verwunderung. Als aber der Vikar von dem Fluchtplan sprach, wehrte er ab. Er wollte bleiben. Sein Leben sei doch fast zu Ende und keinem von Nutzen. Er sei zu müde weiterzukämpfen. Sie sollten seinetwegen nicht ihre eigene Flucht gefährden.
Der Vikar rief den jüngeren Chorherrn zu Hilfe. Sie widersprachen und versuchten, den Uralten zu überreden, aber nicht allzu heftig. Vielleicht durfte so hohes Alter doch auf Nachsicht rechnen, und der Greis wagte weniger als die beiden anderen. Er bestärkte sie in dieser Meinung und riet ihnen, noch am gleichen Abend fortzugehen. Morgen früh könnte es am Ende zu spät sein. So nahmen sie eilig und ohne Rührung Abschied. »Vielleicht ist alles nur blinder Lärm«, meinte der jüngere Chorherr, »und wir sehen uns in wenigen Tagen wieder.« Der Uralte bat sie nur noch, ihm seinen Diener zu schicken, damit er ihm das Abendbrot bringe und ihm ins Bett helfe. »Ich verstehe gar nicht, wo er bleibt.«
Die beiden andern sollten das bald genug verstehen. Sie fanden Küche und Gesindekammern dunkel und leer, den Herd kalt, keine Zurüstungen zu einer Mahlzeit. Sie blickten einander an. »Ich glaube, es wird höchste Zeit«, murmelte der Chorherr mit zitternden Lippen. Der Vikar meinte, sie müßten dem Uralten Bescheid sagen, daß er allein und ohne Hilfe sei. »Tut das, lieber Freund, tut das!« stimmte der Chorherr zu und eilte in seine Wohnung, um noch ein paar Wertsachen, vor
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