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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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erkennen, aber sicher noch keine zehn Jahre alt. Die weinten laut und riefen nach ihren Eltern.
    »Kinder?« fragte der Uralte aufhorchend. »Kinder?« Er setzte sich auf, verlangte angekleidet zu werden und ließ seine beiden nächsten Freunde zu einem Gespräch zu sich bitten. Das waren ein etwas jüngerer Chorherr, sein nächster Nachbar, und ein Vikar vom Neuen Münster. Außerdem war sein Vorleser und Schreiber, ein junger Priesterschüler, mit dabei. Den Diener hieß er, außen an der Tür zu wachen, damit sie nicht gestört würden.
    »Freunde, es muß etwas geschehen«, sagte der Uralte und berichtete sein Erlebnis. Die beiden andern zuckten die Achseln. Was sollte denn geschehen und warum jetzt auf einmal, nachdem man fast zwei Jahre dem wachsenden Unheil zugesehen hatte? Warum vorwitzig die Gefahr herausfordern?
    »Begreift ihr denn nicht«, ereiferte sich der Uralte, »was das bedeutet, daß sie jetzt sogar Kinder verbrennen? Braucht es noch einen klareren Beweis für den Widersinn, das schreiende Unrecht dieser Prozesse?«
    »Pst!« machten die Freunde erschrocken, und der jüngere Chorherr erinnerte daran, daß die Kinder doch selbst die grauenvollsten Verbrechen eingestanden hätten, zumeist freiwillig, wie man höre. Aber der Vikar, der mehr unter die Leute kam, wußte, daß es durchaus nicht immer so sei. Er hatte von einem zehnjährigen Buben gehört, der noch nach sechsundvierzig Rutenstreichen nichts hatte bekennen wollen, und von einem vierzehnjährigen Margretlein, das ein und eine halbe Stunde lang die Beinschrauben ertragen und noch auf seiner Unschuld beharrt hatte. »Was diese freiwilligen Geständnisse angeht«, sagte der Uralte schwer, »so glaub’ ich eher, daß sie von der Angst erpreßt sind, nicht allein vor Schmerzen und Tod, sondern von einer viel größeren vor dieser Welt, die wir Großen zur Hölle gemacht haben. Wie sollen sie nicht daran verzweifeln, in solcher Finsternis weiterzuleben!«
    Nun gut, meinten die Freunde, das möge so sein. »Aber was geht das uns an? Es ist nicht unsere Sache, Seine Fürstlichen Gnaden zu belehren. Gefährlicher als je ist es jetzt und hier, sich in fremde Befugnisse zu mischen.«
    Der Uralte schüttelte zornig den Zeigefinger. »Wenn es Euch, meine Freunde, einerlei ist, ob vor Euren Augen Unschuldige leiden und sterben, sollt Ihr Euch sagen, wie kurzsichtig solche Feigheit ist. Mit jedem Todesurteil kommt die Gefahr uns allen näher. Wer ist noch sicher, wenn es nicht einmal mehr die Kinder sind im Arm ihrer Mütter?«
    Der jüngere Chorherr gab zu, er habe auch schon Ähnliches gedacht. Aber was konnte man tun? Was konnte irgendein Mensch tun, das Morden aufzuhalten? Eingaben vornehmer Personen, deren Verwandte betroffen waren, auch die Vorstellungen des geflohenen Doktor Burkhardt beim Reichskammergericht hatten wohl Mandati inhibitorii erwirkt, aber nicht den geringsten Wandel, ja, nicht einmal ein Stocken im Verlauf der hiesigen Prozesse. Die Gerechtigkeit von Kaiser und Reich habe nun einmal keinen bewehrten Arm in diesem Lande, damit müsse man sich abfinden.
    Ein bewehrter Arm sei vielleicht noch zu finden, ließ sich der Vikar vernehmen. Er habe da kürzlich von einer seltsamen Wette gehört, die, wäre sie ausgetragen worden, den Prozessen wohl eine ganz neue Wendung hätte geben können. Neugierig befragt, wand er sich ein wenig und wollte erst nicht weiterreden. Man wisse nie, wen man mit solchem Weitererzählen vielleicht ins Unglück reiße. Endlich aber gab er nach. Da seien also einige vom Adel, große Herren im Land, beim Trunk übereingekommen, dem Bischof eine Wette anzubieten, die ihm seine Verblendung dartun sollte. Sie wollten sich den tüchtigen Meister Conz mitsamt seinem Instrumentarium für ein paar Tage ausborgen und dann einen der namhaftesten Hexenrichter, am besten den Herrn Kanzler selbst, nach allen Regeln der Kunst ins Hexenverhör nehmen. Wenn der dann nicht binnen drei Tagen ebenso viele teuflische Verbrechen eingestanden hätte, wie er selbst je einem alten Weibe abgepreßt, so wollten die betreffenden Herren selbst den Hexentod erleiden.
    »Ha!« rief der Uralte begeistert aus. »Das ist eine Sache von Mark und Blut, ganz wie in alten Zeiten! Sagt uns noch, wie sie ausgegangen ist!«
    »Eben – gar nicht!« erwiderte der Vikar. »Keiner weiß es. Eines Abends beim Trunk sind die Herren so hohen Mutes gewesen, haben auch das Schreiben an Seine Fürstlichen Gnaden schon aufgesetzt gehabt und den Boten bestimmt,

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