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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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der es überbringen sollte. Am nächsten Morgen aber ist ihnen der eigene Mut wohl nicht mehr geheuer gewesen. Mit Bischof und Kanzler anzubinden, ist eine Sache und eine andere, die höllischen Mächte herauszufordern. So ist kein Brief geschrieben und kein Bote abgeschickt worden, und alles ist geblieben, wie es war.«
    Der Uralte nickte spöttisch, als habe er sich so etwas schon gedacht. »Was ist ein bewaffneter Arm schon wert ohne Mut und Verstand! Nein, von tollen Plänen solcher Art kommt keine Rettung, auch nicht vom Hoffen auf höhere Instanzen. Da hilft nur eins, die Erleuchtung durch klare, menschliche Vernunft. Sollte der Neffe des großen Julius dafür so ganz unzugänglich sein?«
    »Ihr wollt mit ihm reden?« fragte der jüngere Chorherr bestürzt. Das hatte der Uralte vor und glaubte nicht einmal, daß es besonders schwierig oder gar gefährlich sein werde. »Von mir wird er sich das anhören. Ich hab’ ihn ja schon als kleinen Studenten gekannt und weiß noch wohl, wie er einmal mit dem Oheim mein Laboratorium besucht hat.«
    »Euer was…?« Die Freunde entsetzten sich immer mehr. »Ihr seid… Ihr habt…?«
    »Ja, ich hab’ einmal einen Namen gehabt in der Wissenschaft der Alchimie, hab’ sogar mit der kaiserlichen Majestät zu Prag korrespondiert. Auch Bischof Julius hat in seinen besten Jahren gern meinen Versuchen beigewohnt. Später, im Alter, als er das leidige Hexenbrennen anfing, hat er mir freilich selbst geraten, meine chymische Küchel einstweilen zu verschließen, damit ich nicht in bösen Verdacht käme. Das hab’ ich mir nicht zweimal sagen lassen. Nicht nur verschlossen hab’ ich sie, sondern zumauern lassen und nie wieder betreten.«
    »Aber wo habt Ihr sie denn versteckt?« fragte der jüngere Chorherr. »Nie hätte ich so etwas in diesem Hause vermutet.« Alle blickten scheu an den hohen, vom Alter geschwärzten Wänden empor.
    »Ja, das möchtet Ihr wohl wissen!« Der Alte winkte dem Vorleser, der ganz verstört auf seinem Schemel hockte, und hieß ihn, einen Krug Wein aus dem Keller zu holen. Der junge Mann schrak auf und gehorchte mit übertriebener Eile. Als er aber die Tür hinter sich geschlossen hatte und den Diener schläfrig am Fuß der Treppe Wache halten sah, trat er leise zurück und legte sein Ohr an das rissige Holz, nur ein paar Augenblicke lang. Dann ging er, zündete in der Küche eine Kerze an und stieg in den Keller hinunter. Nachdem er den Krug gefüllt hatte, trat er zwischen zweien der großen Fässer an die Rückwand des niederen Gewölbes und leuchtete mit der Kerze an ihr hinauf. Sie sah anders aus als das übrige uralte Gemäuer, war glatt und gerade und klang hohl, wenn man daran klopfte. Der Junge schauderte, nahm den Krug auf und beeilte sich, wieder hinaufzukommen. Die Zinnbecher klirrten, als er sie vom Bord nahm, seine Hand zitterte beim Einschenken. Aber keinem der drei fiel es auf.
    Der Uralte hatte die beiden andern inzwischen so weit gebracht, daß sie ihm nicht mehr widersprachen und sich sogar heimlich schämten, weil er sie an Mut übertraf. »Ob ich etwas ausrichte, weiß ich nicht. Aber gewagt muß es werden. Die Kinder sollen einen Fürsprech finden. Und was wag’ ich schon! Was könnte man mir vorwerfen! – Schreiber, bist du da?« rief er. »Hol deine Tafel, ich will dir einen Brief diktieren an Seine Fürstlichen Gnaden persönlich, und du sollst ihn morgen früh auf die Burg bringen!«
    Der Junge erschrak über die plötzliche Anrede so sehr, daß er den Wein verschüttete. Der Vikar, der den Guß auf seinen Rock bekommen hatte, brummte ärgerlich: »Was ist denn mit dir, guter Freund?« und wunderte sich über den unmäßigen Schrecken des Jungen wegen eines so kleinen Versehens. An einem so ungeschickten Burschen hatte der alte Chorherr wohl kaum eine nützliche Hilfe. Aber war es nur Ungeschick? Einen Augenblick zweifelte der Vikar daran, doch vergaß er den flüchtigen Verdacht gleich wieder.
    Der Brief wurde geschrieben und gleich am nächsten Morgen durch den Jungen auf die Burg gebracht. Dennoch blieb es ungewiß, ob Seine Fürstlichen Gnaden ihn jemals erhalten hatten. Denn eine Antwort kam nicht.
    Dafür begann es unter den Leuten zu munkeln von einer Zauberküche im Neumünsterstift. Das Gift der Pestepidemien und anderer Seuchen, auch Viehsterben und Hagelschlag seien dort zusammengebraut worden. Wie meistens erfuhren diejenigen, die es anging, nichts von solchen Gerüchten. Dann, eines dunklen Frühlingsabends, kam

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