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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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er freigesprochen werden. Dieser Rest verging vor der harten Einsicht: Auch andere sind schuldlos gestorben.
    »Schuldlos an diesem Verbrechen«, hörte er die uralte, tonlose Stimme, »aber nicht ohne Schuld an dem, was nun auch über uns kommt. Das haben wir uns selbst zugezogen durch unsere Feigheit, unsere Zufriedenheit, solange wir sicher waren. Dafür büßen wir jetzt, und darum, seht Ihr, will ich diesmal standhalten.«
    »Und ich?« flüsterte der Vikar in seine Hände hinein.
    »Ihr seid noch jung, Ihr werdet entkommen und habt noch viel Zeit zu büßen und die Dinge zu bessern.«
    Bis morgen früh, dachte der Vikar, hab’ ich noch Zeit, mich zu bedenken. Ich weiß im voraus, ich werde fliehen, ich bin kein Märtyrer. Aber ich kann ihn doch nicht allein lassen im leeren Haus, diese Nacht.
    So blieben sie zusammen, in ihren Stühlen am warmen Ofen sitzend, manchmal redend, öfter schweigend, ab und zu auch ein wenig schlafend. Als der Tag graute, wollte der Vikar aufbrechen. Aber die Stadtknechte waren noch früher auf und verhafteten sie beide.
    Der jüngere Chorherr war noch am Abend vorher an einem der Stadttore abgefangen worden, verdächtig durch einen schweren Mantelsack, mit dem er sich schleppte. Er hatte es nicht über sich gebracht, seine geliebten Notenbücher zurückzulassen. Das war ihm zum Verhängnis geworden und sein Fluchtversuch den beiden andern. Man beschleunigte ihre Verhaftung, weil von ihnen das gleiche zu befürchten schien. So sahen sie einander wirklich noch schneller wieder, als sie gedacht hatten, aber anders, als der leichtsinnige Chorherr gemeint hatte.
     
     
    Pater Friedrich an Pater Tannhofer:
    den 14. Mai 1629
    Verehrter Freund!
    Dies ist nach langer Zeit mein erster Brief an Euch und zugleich der letzte aus dieser Stadt, die ich morgen mit unbekanntem Ziel verlassen werde. Ich selbst habe meine Oberen gebeten, mich fortzuschicken, damit ich vor weiterem Ungehorsam in Gedanken und Taten bewahrt bleibe. Denn obgleich ich seit einem halben Jahr mein Amt nicht mehr ausübe und als ein Kranker behandelt werde, hat es mir keine Ruhe gelassen. Ich habe dem Stand der Prozesse nachgespürt und meinen Nachfolger ausgeforscht, der um so argloser war, als er oft meinen Rat suchte. So erfuhr ich vom Verdacht gegen manche Personen und habe, ich gestehe es offen, einige Male versucht zu warnen, meistens ohne Erfolg. Dieser Verstoß gegen die oberste Regel unseres Ordens belastet indessen mein Gewissen so, daß ich um Befreiung von dieser unausgesetzten Versuchung gebeten habe. So werden mich morgen zwei unserer Brüder auf die Reise an meinen mir noch unbekannten Bestimmungsort begleiten. Dort werde ich mit dem Unterricht an einer Schule hinlänglich beschäftigt sein, um meinen Geist von gefährlichen Wegen abzulenken, aber auch Muße zur Erholung und zu eigener geistiger Arbeit haben.
    Dennoch verstehe ich diesen Ortswechsel richtig. Er ist nicht zu meiner Erleichterung gedacht, sondern als eine Verbannung, als Strafe dafür, daß ich für wichtigere Aufgaben untauglich bin. Ich, der ich mich vermaß, in Indien für Christum zu zeugen, dem man noch vor zwei Jahren das verantwortungsvolle Amt des Hexenbeichtigers anvertraute! Ich habe versagt, das weiß ich und kenne meine Fehler. Doch kann ich sie nicht ganz so tief bereuen, wie ich wohl sollte.
    Es ist wahr, ich habe die höhere Weisheit meiner Oberen immer wieder mißachtet über einem ganz unzulässigen, weltlicher Herzensweichheit entspringenden Mitleid mit der Kreatur, ob schuldig oder nicht. Schlimmer noch, ich habe gezweifelt an der Notwendigkeit der angewandten Grausamkeit, an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens, vor allem aber, und das war entscheidend, an der Schuld der armen Unseligen. Ja, mein Freund, ich wiederhole es hier noch einmal, sosehr ich damit auch schon Anstoß erregt habe: nicht eine ist mir begegnet, von der ich mit Sicherheit sagen könnte, sie sei schuldig des Verbrechens, für das sie verurteilt wurde.
    Dies Wissen kann keiner von meiner Seele nehmen, so heftig sie es auch versucht haben. Es ist keine Sache des Glaubens, den ich mir unerschüttert bewahrt zu haben hoffe, sondern die Erfahrung einer unerbittlichen Tatsache, die ich vor mir selbst niemals verleugnen kann. Eben das aber wird von mir gefordert, und weil ich darin nicht gehorchen kann und weil es mir verwehrt wird, so zu helfen, wie ich es für meine Pflicht halte, bleibt mir nichts anderes übrig, als dieser Stadt morgen in aller Frühe den

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