Hexen in der Stadt
Mauern und Riegel vermochten doch nichts gegen so eine, und welcher Rache setzte man sich womöglich aus! Da half nur das Feuer. Es verlautete, daß der Kanzler selbst der Verhandlung Vorsitzen wolle. Auch wurden besondere Vorkehrungen getroffen, Gerichtsstube und Foltergeräte geweiht und die beteiligten Amtspersonen durch Amulette und kirchlichen Segen geschützt. Dies alles sprach sich herum, und so gern die Leute sonst allem aus dem Wege gingen, was mit den Prozessen zusammenhing, zufrieden, solange sie selbst nicht betroffen waren, diesmal sammelten sich doch Neugierige vor der Kanzlei in der Hoffnung auf irgendeine außergewöhnliche, möglichst schaurige Begebenheit.
Sie wurden enttäuscht. Das Verhört dauerte kürzer als sonst.
Schon lange vor Mittag verließen die Richter und Schreiber die Kanzlei, bleich und ungewöhnlich eilig, aber vielleicht nur wegen der Kälte. Dagegen wurde sehr beachtet, daß der Doktor Brandt seine Kutsche anspannen ließ und sogleich zur Burg hinauffuhr.
Der Bischof, von der Mittagstafel abgerufen, empfing vom Kanzler ein gesiegeltes Blatt, das er verwundert betrachtete. Es schien weder ein Brief noch ein Dokument zu sein, nur ein Stück rauhes Kanzleipapier, flüchtig zusammengefaltet, jedoch mit dem Siegel des Gerichts geschlossen. »Was ist das?« fragte er mißtrauisch.
»Das Geständnis der bewußten Hexe, heute früh unter der peinlichen Frage abgelegt. Belieben Fürstliche Gnaden selbst zu lesen!«
Der Bischof erbrach das Siegel, trat zum Fenster und las – las lange an den wenigen Zeilen. Dann fuhr er herum, hochrot bis in den Spitzenkragen. »Das ist eine Lüge, eine ganz abgefeimte dazu!«
»Selbstverständlich eine Lüge!« bestätigte der Kanzler kalt. »Wer dürfte es wagen, Fürstliche Gnaden, den verdienstvollsten Vorkämpfer gegen das Gelichter, der Teilnahme an dessen greulichen Lustbarkeiten zu beschuldigen!« Er sagte nicht, daß bisher jede Aussage, am gleichen Ort, unter den gleichen Umständen geschehen, als unwiderrufliche Wahrheit gewertet worden war. Diesen Vers mochte sich der Bischof selbst machen. »Nur«, fuhr er fort, »sind dergleichen Anklagen noch schwerer zu entkräften als zu beweisen. Was aber das andere Indiz angeht, das Mal auf der Schulter – schwarz, behaart, so groß wie eines Mannes Daumenabdruck –, so läßt sich das ja zum Glück leicht widerlegen. Fürstliche Gnaden werden nicht zögern, durch ein Zeugnis von Dero Leibarzt…«
»Ich denke nicht daran!« fiel ihm der Bischof ins Wort. »Es ist doch wohl unter meiner Würde, mich einer schwatzhaften Vettel zuliebe einer Leibesvisitation zu unterziehen.«
Der Kanzler verbarg sein Staunen und meinte, der kleine Kreis von Amtspersonen, der die Besagung gehört habe, sei leicht zum Schweigen zu verpflichten. Dennoch wäre es wohl klüger, die lügnerische Behauptung gleich im Keim zu widerlegen, ehe sie auf irgendeine Weise doch unter die Leute käme. Das, sagte der Bischof, könne auch auf andere Weise geschehen. Sofort solle das Weib ihm vorgeführt werden, dann werde sich schon zeigen, wie weit ihre Frechheit ginge. Der Kanzler gab zu bedenken, daß eine solche Überführung von Gefangenen auf die Burg nicht üblich sei und ein Aufsehen erregen werde, das man besser vermeide. Zudem sei es ungewiß, ob die Malefikantin imstande sei, in schicklicher Weise vor Fürstlichen Gnaden zu erscheinen. Heute morgen nach dem Verhör habe es übel mit ihr gestanden.
Der Bischof murrte, mußte es aber einsehen. Doch gab er deshalb seine Absicht nicht auf. Er entschied, er werde sich also selbst hinunterbegeben ins Gefängnis und das Weib zur Rede stellen. »Und Ihr, Doktor, werdet mich begleiten, denn Euer Zeugnis ist wichtiger als jedes andere.« Er duldete keinen Widerspruch mehr, rief nach Hut und Mantel und befahl seltsamerweise den Diener Mathias, der sie brachte, zu seiner Begleitung. Die Kutsche des Kanzlers, die noch im Hof wartete, trug die drei hinunter in die Stadt und zum Kanzleihof. Der Bischof redete kaum ein Wort während der Fahrt, doch entging dem erfahrenen Auge des Kanzlers nicht eine gewisse ungeduldige Hast, die ungewohnt an seinem Herrn war.
Der Schließer in der Alten Münze staunte, daß Fürstliche Gnaden selbst Einlaß forderten. Solange er denken konnte, hatte noch nie ein Bischof oder einer vom Adel oder auch einer der Herren Räte das Hexengefängnis betreten. Daß Fürstliche Gnaden sich Dero Würde also begeben wollten! Aber der Bischof schnitt finster jeden
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