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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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Amtspersonen saßen, erregte keinerlei Neugier. Es folgte niemand diesem Zug zum fünfundvierzigsten oder sechsundvierzigsten Hexenbrand vor das Sandertor hinaus.
    Mitten auf dem Marktplatz stockte der Zug. Vor den Karren, dicht neben den tief gesenkten Kopf des Kleppers, war eine Gestalt getreten und hob, Halt gebietend, die Hand, eine alte Frau im schwarzen Kapuzenmantel. Was wollte sie? Die Männer schimpften, der Knecht, der den Karren lenkte, klatschte mit der Peitsche. Alles empörte sich über den unerhörten Vorgang, doch regte sich auch die Neugier, was daraus werden sollte. Die Frau bewegte die Hand mit beruhigendem Winken, als werde der Aufenthalt nicht lange dauern. Sie trat ganz an den Karren heran, setzte den Fuß in die Radspeichen und schwang sich hinauf. Da stand sie, legte einer der vier grauen Gestalten die Hand auf die Schulter und beugte sich über sie. Nun hielten alle den Atem an, gebannt von dem seltsamen Tun. Später sollten Büttel, Knechte, Henker und der Hofschultheiß selbst aussagen, sie hätten in dem Augenblick weder Hand noch Fuß zu rühren vermocht. Inzwischen redete die Frau leise mit den Verurteilten, aber niemand konnte sie verstehen. Das fortdauernde Scheppern der Glocke übertönte ihre Stimme. Nur der Priester, der mit auf dem Karren saß und vergeblich Einspruch versuchte, hörte ihre Worte und wunderte sich.
    Dies alles wurde erst später den Leuten merkwürdig. Nach der ersten Verblüffung schimpften alle über das verrückte Gehaben und den unnötigen Aufenthalt. Aus ihrer Kutsche riefen die Gerichtsherren, sie wollten auch einmal wieder heim. Aber ehe irgendein Befehl gegeben oder die Peitsche gebraucht werden konnte, war das Weib schon wieder vom Karren herunter und winkte zur Weiterfahrt. Den Henker grüßte sie noch besonders mit der Hand, so daß der spottete: »Kannst’s wohl nicht abwarten, Alte, bis du auch drankommst?« Aber ganz wohl war ihm nicht dabei, und wenig später ging ihm auf, daß es nichts als teuflischer Hohn gewesen sein mußte, ihr gerade in diesem Augenblick zuzuwinken.
    Die Alte war so schnell in der Menge verschwunden, daß niemand sie wahrnahm. Der Karren polterte mit seiner traurigen Last im düsteren Geleit weiter seinen Weg. Den Leuten auf dem Marktplatz aber war die Lust vergangen am Handeln und am Schwatzen. Der Wind blies schärfer, und es schien zu dämmern, obgleich kaum Mittag vorüber war. Die Frauen zogen ihre Kinder mit heim, die Händler schlossen ihre Stande. Sie hatten es ja gewußt: In der Hexenstadt waren keine Geschäfte zu machen. Da kam immer etwas Unheimliches dazwischen. Bald lag der Markt verlassen da.
    Aber noch war keine Stunde vergangen, da wurde es wieder laut genug auf ihm. Die Gasse vom Sandertor her kam es in wilder Jagd, zuerst der Wagen der Gerichtsherren, dann der Karren in ungewohnter Eile. Die Stadtknechte rannten keuchend hinterdrein, die Hellebarden auf der Schulter. Hofschultheiß und Henker ließen sich gar nicht sehen, sie hatten Seitengassen für den Rückweg gewählt. Die anderen aber redeten laut und aufgebracht über das Unerhörte, das sich begeben hatte, und schrien es allen zu, die bei dem Lärm neugierig vor die Türen kamen. Wie war so etwas möglich gewesen? Wo hatte es je ein Beispiel für solchen Casus gegeben? Tot alle vier! Tot waren die Malefikanten auf der Richtstatt angekommen. Als der Knecht des Henkers sie vom Karren zerren wollte, da waren ihm ihre Leichen entgegengefallen wie Holzscheite. Er hatte vor Schreck fast den Verstand verloren und Meister Conz erst recht. Den traf es als eine Schande, daß ihm so etwas hatte zustoßen können. Ein vorzeitig Verstorbener wäre schon schlimm gewesen, aber vier, die rechtens verurteilt waren, einfach der Justiz entzogen! Dabei kein Zeichen von Gewalt oder Gift, nein, sie lagen da wie eingeschlafen, mit Gesichtern, als hätten sie trotz ihrer Verworfenheit ein seliges Ende gefunden. Das war das schlimmste.
    Natürlich gab es keinen Zweifel darüber, wer das getan hatte. Sie hatten ja alle selbst gespürt, wie sie für einen Augenblick verhext gewesen waren und nicht Arm noch Bein rühren konnten. Der Pfaff auf dem Karren war nur zu blöde gewesen, um gleich mit wirksamen Mitteln einzugreifen.
    Diesen armen Pfaffen hatten die Herren gleich in ihrem Wagen mitgenommen zur Kanzlei, wo er zu Protokoll geben sollte, was er gesehen und gehört hatte. Das war fast nichts, und es verstörte ihn selbst am meisten, daß es so war. Die Frau hatte mit den

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