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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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fort war, fing die Frau an, sich für eine weite Wanderung vorzubereiten, zog sich warm an, holte feste Schuhe und den schwarzen Kapuzenmantel hervor, auch einen Stab aus Rebholz, den sie sich für die Gänge auf steinigen Pfaden zurechtgeschnitten hatte, und ein Stück Brot als Wegzehrung. Dann trat sie an das Bett und legte ihre Hände auf Brust und Stirn der Tochter, zum letztenmal ihre beargwöhnte, geheimnisvolle Kraft auf sie ausströmend. Nun würde sie schlafen bis zum nächsten Morgen und erholt aufwachen. Für den Kleinen, der mit roten Backen im Arm der Mutter schlummerte, war kein Handauflegen nötig. Lächelnd strich ihm die Großmutter die feuchten Locken aus der Stirn.
    Bald kam der Knecht mit dem Schlitten. Sie trugen die Schlafenden in den Bettkissen heraus und betteten sie in das Heu, mit dem der Schlitten gepolstert war. Veronika löschte noch das Feuer, schloß die Hütte ab und folgte langsam durch den hohen Schnee der gleitenden Fuhre zu Tal. Sie führte mit dem Bauern ein langes Gespräch und sah noch zu, wie Jakobe mit dem Kind hinter den blaubedruckten Vorhängen des Alkovens in der großen Stube gebettet wurde. Sie gab dafür ihre letzten Goldstücke her. Dann ging sie fort. Ihre gebeugte Gestalt verschwand zwischen den kahlen Baumgärten in der frühen Dämmerung, ihre Fußspuren verwehte der Schnee.
     
     
    Aus der Chronik des Malefizschreibers:
    den 13. Dezember 1629
    Es verlautet im Amt, daß dieser Tage, da das Jahr zu Ende geht und die Prozesse fast drei Jahre währen, Fürstliche Gnaden sich haben Rechnung legen lassen über den Ertrag aus den konfiszierten Hexengütern und über die aus den Prozessen erwachsenen Unkosten. Es sollen sich, was kaum glaublich scheint, die Einnahmen auf rund 70000 Gulden belaufen, die Ausgaben dagegen auf 57000, worin noch etwa 20000 Gulden auf Zinsen ausgeliehene Gelder enthalten sind. Auf die freudige Nachricht von so unverhofft reichem Gewinn hat denn auch das Domkapitel nicht gesäumt, Fürstliche Gnaden um einen Anteil daraus zu ersuchen, allein zu dem frommen Zweck, auch in den domkapitel’schen Kirchen Seelenmessen für die armen unseligen Abgeleibten lesen zu lassen. Darüber sollen Fürstliche Gnaden in großen Zorn geraten sein und unbesonnen ausgerufen haben: »Ein verehrliches Domkapitel möge auch brennen, alsdann hätte man auch Geld.« Das Wort war heraus, und Fürstliche Gnaden hätten es gewiß gern in den eigenen Hals zurückgehabt. Aber es ist schon in der Stadt herum und hat viel böses Blut gemacht, so daß die Leute noch unwilliger als zuvor den Prozessen zusehen. Die Angst davor und vor den Hexen ist freilich nicht geringer geworden, und nichts hat sich geändert, im Gegenteil. Die Gefängnisse sind voller als je und die Brände wieder häufiger. Gegenwärtig wagt sich, trotz der weihnachtlichen Zeit, kaum einer auf die Gasse, nicht einmal die Kinder.
     
     
    Drei Tage vor Weihnachten lag die Stadt tief im Schnee vergraben, der durch Tage und Nächte unaufhörlich gefallen war. An diesem Morgen aber hatte es aufgehört zu schneien. Dafür kam aus dem eisgrauen Himmel ein eisiger Nordost dahergestürmt, der durch alle Ritzen drang und das Blut erstarren ließ. Noch weniger Leute als sonst wagten sich vor die Tür, sogar der dürftige Christkindlesmarkt, der sich nach altem Brauch rings um das Marienkirchlein aufgebaut hatte, lockte nur wenige an. Ein paar Hausfrauen feilschten um die bescheidenen Waren, die ausgestellt waren, Kinder mit rotgefrorenen Naschen und Händen wärmten sich an Bratäpfeln und hatten ihren Spaß an einem trübseligen Kasperle, dem in den schlechten Zeiten der Witz fast ganz ausgegangen war.
    Da schlug hoch oben unter dem farblosen Himmel eine Glocke an, eine einzelne, nicht zu einem Geläut, nur zu einem harten Scheppern, ohne Melodie, ohne Nachhall, einsam und trostlos. Jeder in der Stadt kannte den Ton und wußte, was er bedeutete. Die Mütter riefen ihre Kinder zu sich und faßten sie an der Hand. Jedes Gespräch verstummte. Scheu blickten alle dem Zug entgegen, der die Gasse vom Rathaus heraufkam, voran der Herr Hof Schultheiß zu Pferde, dann Büttel und Stadtknechte, die den rumpelnden Karren begleiteten. Nach den vier Jammergestalten, die darauf hockten, sah keiner hin. Es war besser, sie nicht zu erkennen oder gar einen Gruß auf sich zu ziehen. Auch von Meister Conz, dem Henker, der im roten Wams und Mantel hinterdrein ritt, wandten sich die Blicke ab, und die geschlossene Kutsche, in der die

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