Hexen in der Stadt
vier Verurteilten gesprochen, nichts Besonderes, keine Zaubersprüche, wie er zuerst geglaubt, nur ein paar freundliche Worte. Das letzte aber hatte er deutlich verstanden. Da hatte sie gesagt: »Ihr seid die letzten«, und dabei der Reihe nach jedem zwei Finger auf die Stirn gelegt, ganz leicht, nur so – nein, ein Zeichen habe er nicht bemerkt. Daß die vier danach noch tiefer in sich zusammengesunken waren, hatte ihn nicht gewundert bei der Kälte, die auch ihn durchschauerte. Um so lauter habe er seine Gebete gesprochen. Hätte er ahnen können, daß sie ihn nicht mehr hörten?
Der Stadtphysikus, der zufällig anwesend war, meinte, der Unfall könnte auch eine ganz natürliche Ursache haben. Bei solcher Kälte eine gute Stunde reglos auf dem Karren zu sitzen, könnte bei stark geschwächten und dünn bekleideten Personen schon den Tod bewirken. Aber er wurde überstimmt. Alle Augenzeugen waren sich darüber einig, wer schuld war, ohne Zweifel eine der allergefährlichsten Hexen, die es je in der Stadt gegeben hatte. Und die lief frei herum! Man beeilte sich, den Haftbefehl auszufertigen und die Stadtknechte auszuschicken, damit sie die verruchte Person dingfest machten.
Aber würde man sie überhaupt finden? War es nicht zu erwarten, daß eine mit solchen Fähigkeiten den Ort ihrer Untat auf dem schnellsten Besen verließ und sie alle schon längst von einer Turmspitze aus mit höllischem Gelächter verspottete? Die ausgesandten Knechte hofften heimlich, daß es so wäre. Denn wer wollte sich mit einer einlassen, die sich wirklich aufs Hexen versteht, die einem »den Letzten« gibt wie beim Kinderspiel, und man fällt gleich tot um! So gaben sie sich keine besondere Mühe, die Gesuchte zu finden, so laut sie sich auch in den dämmernden Gassen aufführten.
Dennoch traf einer, der, etwas mutiger als die andern, noch einmal den Tatort absuchte, an der Kirchenpforte auf eine verdächtige Gestalt. Er glaubte zuerst, es sei ein Fahrender, der sich dort, in seinen Mantel gehüllt, zur Nachtruhe niedergekauert hatte. Dann aber sah er, daß es eine Frau war, und sie kam ihm bekannt vor. Denn er war einer von denen gewesen, die den Karren begleitet hatten. Er erschrak so sehr, daß er nur schüchtern fragte: »Vergebt mir die Frage, seid Ihr vielleicht die Hexe?«
»Die bin ich«, erwiderte die Frau ruhig.
Da erschrak er noch mehr und stotterte: »Also dann – dann muß ich dich verhaften.«
»Tu das nur!« sagte sie, stand auf und hielt ihm die Hände hin, damit er sie binde.
Er aber tat einen Satz rückwärts und schrie laut nach seinen Kameraden. Die kamen mit ihren Spießen und Laternen angerannt und sammelten sich in sicherer Entfernung von der Frau, die still, mit gefalteten Händen, auf den Kirchenstufen wartete, was mit ihr geschehen sollte. Erst als sie zu fünfen waren, wagten sie, Hand an sie zu legen und führten ihre Beute zur Alten Münze im Kanzleihof, wo die Bewachung am strengsten war. Dann meldeten sie, wie es ihnen befohlen war, trotz der späten Stunde dem Kanzler selbst, daß der Befehl ausgeführt und die gefährliche Hexe, die einzige, die in dieser Stadt je auf frischer Tat ertappt worden war, hinter Schloß und Riegel gebracht sei.
Aus dem Gewissensbuch des Paters Friedrich:
Wenn die Prozesse weiter so betrieben werden, dann ist heute niemand, gleich welchen Geschlechts, in welcher Vermögenslage, Stellung oder Würde er sei, mehr sicher. Sofern er nur einen Feind hat, der ihn verleumdet, er muß zu der Stunde dem Brandmeister in die Hand, da er es am wenigsten vermeint hat. So steuern die Dinge, wohin ich blicke, auf ein furchtbares Unglück hinaus. Ich habe es zuvor gesagt und sage es wieder: mit Feuerbränden kann man den Hexen, was es mit ihnen auch auf sich haben mag, nicht beikommen, wohl aber auf andere Weise, ohne Blutvergießen. Wer aber begehrt davon zu erfahren? Ich hatte noch mehr sagen wollen, aber der Schmerz übermannte mich so sehr, daß ich dies Werk nicht zu Ende führen kann. Vielleicht werden einmal Männer kommen, die es, dem Vaterland und der verfolgten Unschuld zuliebe, vollenden werden.
Die ertappte Hexe, die durch so glückliche Umstände in die Hände der Justiz gefallen war, wurde gleich am nächsten Morgen zum Verhör geführt, damit sie noch vor den Gerichtsferien während der heiligen Tage abgeurteilt und, wenn irgend möglich, auch gerichtet werde. Wer mochte eine so gefährliche Person länger als notwendig in Gewahrsam halten! Ketten,
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