Hexenfluch: Roman (German Edition)
sich zwischen seine Brauen. »Sicher? Wir können auch woandershin gehen …«
»Nein. Schon okay.« Es war abzusehen gewesen, dass er mit ihr nicht zu irgendeinem kleinen, gemütlichen Italiener um die Ecke gehen würde. Sie hatte sich auf diese Sache eingelassen, jetzt würde sie sie auch zu Ende bringen. Ein Abendessen mit ihm. Mehr nicht. Kein Date. Danach würde er wieder aus ihrem Leben verschwinden. Auch wenn immer wieder ein Gedanke durch ihren Kopf spukte: Wusste er, was in der Gasse tatsächlich geschehen war? Konnte er ihr die Frage beantworten, warum sie die Narben trug, die eigentlich er haben müsste? Oder würde er sie für verrückt halten, wenn sie ihn darauf ansprach? Nun, genau genommen hielt sie sich ja selbst für verrückt. So etwas war einfach unmöglich. – Und doch war es passiert.
»Ich möchte, dass Sie sich wohl fühlen, Dr. Thorens. Sie müssen mir nur sagen, was ich dafür tun kann. Wenn das bedeutet, dass wir wieder gehen, dann werden wir das. Claude wird es überleben.« Seine Stimme hatte etwas von Seide und Samt auf der Haut. War er eigentlich verheiratet? Nicht, soweit sie wusste. Allerdings war über sein Privatleben auch nicht wirklich viel bekannt. Hatte er überhaupt eines? Zumindest genug, um sich solche Feinde zu machen, dass man ihn in dunklen Gassen zusammenschlug. Oder war er nur versehentlich an eine Gang geraten? Aber wären die Mitglieder einer Gang vor einer schreienden, nur mit einem Eisenrohr bewaffneten Frau davongerannt? Wohl kaum. Oder? – Nein! Sie würde sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Jetzt nicht und auch zu keinem späteren Zeitpunkt.
Ihr Leben hatte bis zu jenem Abend einen Sinn gemacht. Aber jetzt? Gab es verdammt viele Scherben in ihrem Gehirn. Und Dinge, die absolut keinen Sinn mehr ergaben.
»Dr. Thorens?«
»Hm?«
»Sagen Sie mir, was Sie möchten. Sollen wir wieder gehen?«
Um ein Haar hätte sie ›Ja‹ gesagt, hätte Claude nicht in genau diesem Moment einen Schritt zur Seite gemacht und »Ihr üblicher Tisch, Monsieur Havreux« verkündet. Elegant zog er einen Stuhl von einem Tisch direkt bei den Fenstern zurück. Einem Tisch, der obendrein ein wenig abseits von den anderen stand. Doch er runzelte die Stirn, als Ella wohl eine Sekunde zu lang zögerte. »Oder wäre Ihnen der Tisch auf der Dachterrasse angenehmer?« Fast hätte sie sich verschluckt. Man bekam hier keinen Tisch, ohne Tage, vielleicht sogar Wochen vorher reserviert zu haben, und Christian Havreux hatte hier nicht nur einen ›üblichen‹ Tisch, er hatte sogar noch die Wahl zwischen einem hier drinnen und einem draußen auf der Dachterrasse. Claude räusperte sich. »Ich war der Meinung, die Dame würde …«
»Dr. Thorens? Was meinen Sie?« Havreux war an ihr vorbeigetreten.
»Nein. Hier ist vollkommen in Ordnung …«
»Sie hören es, Claude.« Er nickte dem MaÎtre d’ zu.
Der verneigte sich und zog den Stuhl ein Stückchen weiter zurück. »Sehr wohl, Monsieur Havreux. – Madame?«
»Danke sehr.« Ella rang sich ein weiteres Lächeln ab und setzte sich. Die anderen Gäste warfen ihnen bereits unverhohlen Blicke zu. Fehlte nur noch ein Paparazzo mit seiner Kamera. Sie konnte sich die Schlagzeile beinah vorstellen:
Christian Havreux in unbekannter weiblicher Begleitung im Chez Frédéric gesehen
Das erste Bild von ihm, das seinen Weg in die Medien fand. Und das mit ihr.
Havreux hatte sich ihr gegenübergesetzt, beugte sich jetzt vor und streckte die Hand nach Ella aus, vorbei an der schlanken Tafelkerze und dem eleganten Arrangement aus offenbar echten Blumen in der Mitte. Nur um dann ein paar Zentimeter vor ihrer innezuhalten und sie auf das blendend weiße Tischtuch sinken zu lassen. Sie war erstaunlich blass.
»Dr. Thorens, bitte. Ich will nicht, dass Sie dies hier als einen … Pflichttermin empfinden. Ich sage es noch einmal: Wenn Sie gehen wollen, können wir das jederzeit tun.«
»Nein. Wirklich. Es ist in Ordnung. Ein Pflichttermin sieht für mich anders aus. Ehrlich.«
»Gut.« Er zog die Hand zurück, richtete sich wieder auf. »Dann lassen Sie uns diesen Abend genießen. – Claude.« Mit einem kurzen Blick über die Schulter nickte er dem MaÎtre d’ zu, der sich diskret einen Schritt zurückgezogen hatte und nun wieder herantrat.
»Monsieur Havreux?«
»Was hat die Küche heute zu bieten, Claude?«
»Wenn Sie erlauben, Monsieur, heute Abend kann ich Ihnen und Madame als Auftakt eine Erbsensuppe mit Parmesan-Croutons
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