Hexenfluch: Roman (German Edition)
ihr stehen geblieben, streckte die Hand nach dem Handy aus. Sie überließ es ihm, neigte sich aber so nah zu ihm, dass sie mithören konnte. Und schob ihm dabei ganz unauffällig den Arm um die Mitte. Unter dem Mantel. »Was ist dein Problem, Kleiner? Wir hatten das geklärt.« Ein kurzer, spöttischer-belustigter Blick aus dem Augenwinkel, dann nahm er das Handy in die andere Hand, legte seinerseits den Arm um sie und zog sie noch enger an sich heran.
Es klang, als würde Mikah mit einem Stöhnen die Augen verdrehen. »Ich will aber nicht nach Stanford. Ich will in L.A. bleiben. Die Uni hier ist auch gut.«
»Das ist alles mit deiner Urgroßmutter abgesprochen, Welpe. – Und falls du es vergessen hast: Du warst da schon einmal eingeschrieben. Meinen Informationen zufolge hattest du dich sogar selbst dort beworben.«
»Ich habe meine Meinung geändert.« Mit jedem Wort wurde Mikahs Tonfall aufsässiger – und zugleich irgendwie immer … hilfloser. »Ich werde da nicht hingehen.«
Kristen räusperte sich leicht. »Du erinnerst dich, was passiert ist, als du das letzte Mal so einen Ton mir gegenüber draufhattest?«
Grummeln.
»Wie bitte?«
»Ja.«
»Dann ist es gut.«
»Das ändert nichts daran: Ich bleibe in L.A. Du kannst mich nicht einfach nach Stanford schicken.«
»Ich enttäusche dich ungern, Kleiner, aber: Ich kann. Bis du einundzwanzig bist. Schon vergessen?«
Wieder ein Grummeln.
Ella lehnte sich ein klein wenig zur Seite. »Der Antrag auf Vormundschaft ist durch?«
Kristen nickte. »Deine Urgroßmutter war übrigens sehr angetan, dass du dort studieren wirst.«
»Dann soll SIE doch hingehen.«
»Möchtest du ihr das persönlich sagen?« Es war unglaublich, wie harmlos und unschuldig Kristen manchmal klingen konnte.
Stille. Dann: »Nein.« Was Ella sehr gut verstehen konnte. Sie hatte Mikahs Urgroßmutter einmal getroffen, als Kristen sie besucht hatte, um mit ihr ›gewisse Dinge bezüglich ihres Enkels und ihres Urenkels‹ zu besprechen. Ersteres war nicht nötig gewesen. Ein paar Stunden zuvor hatte man Mikahs Onkel, Yevgenij Alexejou, tot in seiner Villa gefunden. Herzinfarkt. Offiziell zumindest. »Ein bedauerlicher Verlust. Ja, ja. Dass er seinem Bruder so schnell gefolgt ist … Sehr bedauerlich. Aber nein, wir werden nicht trauern. Es war sein Schicksal, so früh zu gehen.«
Die Beerdingung zwei Tage später war eher einem Verscharren gleichgekommen.
Und was den ›Urenkel‹ anging: Kristen hatte Mikah beinah am Kragen in das Stadthaus seiner Urgroßmutter schleifen müssen. Der Junge war davon überzeugt, dass ihm nach seiner Zeit an Lyreshas Hof jeder im Rudel nur noch mit Verachtung begegnen würde. Allen voran seine Großmutter.
Sie waren von einer Art Haushofmeister in einen Raum geführt worden, der dem Empfangszimmer einer Zarin alle Ehre gemacht hätte und in dem ein knappes halbes Dutzend elegant gekleidete Männer und Frauen versammelt waren. Dass sie Mikah erkannten, verriet ihr überraschtes, beinah bestürztes Murmeln. Der arme Mann war schier daran erstickt, dass er ›Kristen Havebeeg‹ ankündigte. Jeder der anwesenden Männer – und auch einige der Frauen – hatten von einer Sekunde zur anderen mehr als angespannt gewirkt. Als sei jeder Einzelne von ihnen bereit, sich bei der kleinsten falschen Bewegung seinerseits auf ihn zu stürzen.
Mikahs Urgroßmutter hatte sich davon nicht beeindrucken lassen. Auch nicht von Kristens kühlem: »Ich war Lyreshas Hure.« Mikah hingegen wäre seinem Stöhnen nach am liebsten im Erdboden versunken. Sie hatte in dem pikierten Schweigen, das auf Kristens Vorstellung gefolgt war, erst einmal gar nichts gesagt. Sondern hatte einfach nur ihren Urenkel zu sich gewunken. Und Kristen.
Anastasia Alexejewna war eine alte Frau mit allen Zipperlein einer Fünfundachtzigjährigen. Schmal, feingliedrig. Geradezu zerbrechlich. Die Haut runzlig und voller Altersflecken. Schlohweißes Haar, das sie modisch kurz geschnitten trug; ein bisschen schwerhörig – wenn sie es sein wollte –; einen schwarzen Gehstock – in dem sich laut Kristen und Mikah ein kurzes, aber rasiermesserscharfes Stilett verbarg – senkrecht vor sich, dessen silbernen Griff sie mit beiden Händen umklammerte; einem leicht russischen Akzent und einer Vorliebe für süßen Chai-Tee. Und dem Willen und der Unnachgiebigkeit eines Dragonergenerals. – Und sie war einhundertsechsundfünfzig Jahre alt. Was Ella allerdings erst am Ende ihres Besuchs erfahren
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