Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
sind die Grundvoraussetzung. Jeder Einzelne wäre allein kaum fähig, zu überleben. Dazu braucht auch der Mensch ein Gemeinwesen, in dem es feste Regeln gibt, damit jedes einzelne Mitglied dieser Gesellschaft weiß, was es zu tun hat. Oder glaubt ihr wirklich, dass wir hier auf einer Straße fahren könnten, wenn es nicht so wäre? Wer hätte Interesse daran, ein Wegenetz zu bauen? Als Einzelwesen würde jeder sagen, ich brauche das nicht und ich habe keinen Nutzen davon, der im Verhältnis zum Aufwand steht. Aber selbst dann, wenn es jemand wollte, wäre er als Einzelner dazu gar nicht in der Lage. Dazu braucht es eben neben den geistigen Voraussetzungen auch die materiellen. Eines ist nichts ohne das andere. Gott hat uns beides gegeben, den Geist und die Materie, wobei der Geist höher zu bewerten ist, da er es ist, der die Materie formen kann. Der Mensch aber ist ein törichtes Wesen, das meist nur an sich selbst denkt und oftmals nur das glaubt, was es zu sehen meint und daher irdischen Besitztümern nachjagt. Habt ihr schon einmal einen Ameisenhaufen betrachtet?«
Seine beiden Mitreisenden sahen ihn entgeistert an. In ihren Gesichtern konnte Nider ablesen, dass sie ihm nicht folgen konnten.
»Wir haben etwas anderes zu tun, als unsere Zeit mit so nutzlosen Tieren wie mit Ameisen zu vertrödeln«, warf der Kaufmann unwillig ein.
Die Frau nickte zustimmend.
»Schade«, fuhr der Mönch fort, »aber von diesen scheinbar nutzlosen und auch scheinbar so völlig sinnlos herum krabbelnden Kreaturen könnten wir Menschen eine Menge lernen, wenn wir nur wollten. Oder habt ihr gewusst, dass diese kleinen Tierchen auch eigene Straßen haben? Gesehen habt ihr es sicher schon, nur darüber nicht nachgedacht, weil es nichts mit Gut und Geld zu tun hat und sich deswegen nicht lohnt.« Nider machte eine Pause und lauschte dem Prasseln des Regens auf das Kutschendach.
Unsicher hüstelte die Frau, doch jetzt plagte sie die Neugier und nach einer Weile fragte sie:
»Und, was können wir von den Ameisen lernen?«
»In der freien Natur wie beispielsweise im Wald ist es etwas schwieriger zu beobachten, weil man dazu Geduld braucht und das Auge schulen muss. Deutlich sichtbar wird es aber auf Wiesen, wo diese Straßen oftmals die Breite meines kleinen Fingers annehmen können. Habt ihr das noch nie gesehen?«
»Jetzt wo Ihr es sagt, ja. Aber ich habe noch nie darauf geachtet«, erwiderte sie.
»Seht ihr, so achtlos und blind stolpert ihr durch die Welt.« Seine Stimme klang nicht vorwurfsvoll, sondern eher resigniert. »Wozu aber bauen auch Ameisen Straßen und Wege?«
Die Frau hob die Schultern und der Kaufmann schüttelte ratlos den Kopf.
»Sie bauen sie aus den gleichen Gründen wie wir Menschen. Stellt euch einmal eine Stadt vor, in und zu der es keine Straßen geben würde. Jeder würde sein Haus dort bauen, wo es ihm gerade einfiele. Wie aber will er ohne Straße oder Weg das Baumaterial transportieren? Er könnte sich bestenfalls mühsam mit Saumpferden durch das Gelände plagen oder es selbst tragen und müsste dabei auch größere Umwege in Kauf nehmen. Angenommen, die ersten Siedler der Stadt hätten es trotzdem geschafft. Sie haben sich die besten Plätze gesichert, aber neue Menschen drängen nach, die aber auch nicht im letzten Schattenloch leben wollen. Die Häuser stehen dicht an dicht, jeder wäre von der Willkür seiner Nachbarn abhängig, Mord und Totschlag wären nicht die Ausnahme, sondern die Regel, da eine allgemeine öffentliche Ordnung gar nicht entstehen, geschweige denn aufrechterhalten werden könnte. Auch zu der Stadt würden ja keine Wege führen. Wovon aber sollen sich die Leute ernähren, wenn kaum Nahrungsmittel in die Stadt gebracht werden können? Wie erhält der Schmied sein Eisen, der Küfer seine Eichenbohlen, der Wirt seinen Wein?« Nider machte eine kurze Pause und strich mit der flachen Hand über die kahle Fläche zwischen seinem Haarkranz. »Wie ihr seht, hat eine Straße sowohl eine verbindende als auch ordnungshaltende Funktion. Aber sie birgt auch Gefahren. Unser Land ist voll von Wegelagerern und Räubern, die sich in den Wäldern verstecken und denen die Wege ein faules, liederliches und gottloses Dasein ermöglichen. Ohne öffentliche Ordnung, die wiederum von den Mitgliedern der Gemeinschaft getragen wird, wären die mühsam gebauten Straßen bald wieder sinnlos, da alle wohlanständigen Bürger Angst hätten, sie zu benutzen. Es braucht also Soldaten, die dem lichtscheuen
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