Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
Gesindel nachstellen und die für Sicherheit sorgen. Wobei wir wieder bei den Ameisen wären. Der Mensch ist ein von Gott mit einem Verstand gesegnetes Wesen, den er zu seinem Nutzen oder auch Schaden verwenden kann – aber eine Ameise? Oder glaubt ihr, dass auch eine Ameise einen Verstand hat?« Die Frage war rein rhetorisch gemeint und er erwartete auch keine Antwort.
»Nein, hat sie nicht«, fuhr er fort, »aber trotzdem vollbringt sie Dinge, wozu der Mensch seine Vernunft und seinen Intellekt benötigt. Ameisen bauen Straßen, um das Futter schneller zu ihrem Haufen transportieren zu können. Aber das ist es nicht allein. Auch sie haben Feinde, aber der größte Feind dieser kleinen und doch so erstaunlichen Tiere sind wie bei den Menschen die Ameisen selbst. Auch hier gibt es Strauchdiebe und Wegelagerer, die an den Straßen auf Beute lauern oder andere Ameisenvölker, die ihre Nachbarn überfallen und dazu der Einfachheit halber auch gleich die von ihren Feinden gebauten Wege benutzen. Deshalb werden die Wege auch bei den Ameisen von Soldaten bewacht. Man erkennt sie bei genauem Hinsehen an ihren manchmal großen Köpfen mit starken Oberkiefern, mit denen sie ihre Gegner in die Flucht schlagen. Daneben gibt es noch Melder und Boten, die bei Gefahr Hilfe herbeiholen. Wie ihr seht, haben es sich diese scheinbar einfältigen und von uns hochmütigen Menschen als Ungeziefer angesehenen Tierchen selbst so eingerichtet. Aber niemand sagt der einzelnen Ameise, was sie zu tun hat oder befiehlt ihr etwas. Jede weiß von selbst, wo ihr Platz in der Gemeinschaft ist und was ihre Pflichten sind. Keine Oberameise zwingt sie zum Straßenbau, trotzdem tun sie es. Der Mensch aber wägt ab, welchen Nutzen er selbst als Einzelner davon hat und wenn er daraus keinen Gewinn für sich selbst schlagen kann oder ihm dieser als zu gering erscheint, rührt er keinen Finger. Er braucht also trotz oder vielleicht sogar wegen seines Verstandes jemanden, der ihn zur Arbeit für das Gemeinwesen zwingt. Ohne Könige, Fürsten und Vögte und Zinseintreiber gäbe es also nicht nur keine Straßen, sondern auch keine Ordnung und kein Recht. Wer also, so frage ich euch, ist letztendlich klüger? Die dumme und einfältige Ameise, die nicht einmal weiß, dass sie eine ist und ohne Zwang tut, was notwendig ist oder der sich selbst als Krone der Schöpfung bezeichnende Mensch, der trotz seinem Verstand dazu angehalten werden muss, das Notwendige zu tun?«
Nider lehnte sich in die Ecke zurück und schlug seine Beine unter der härenen Kutte übereinander.
Die Kutsche rumpelte und ächzte über den mit tiefen Löchern übersäten Weg durch die Hohlgasse. Seine Mitreisenden schienen nichts davon zu merken.
»So etwas habe ich noch nie gehört«, fand die Frau als Erste wieder Worte. »Woher wisst Ihr denn das alles?«
»Teilweise aus eigener Beobachtung. Aber das ist nichts Besonderes. Schon Aristoteles hat sich mit ihnen beschäftigt.«
»Aristoteles? Kenne ich nicht. Wer ist das?«, fragte die Frau.
»Ein griechischer Gelehrter. Er lebte im dritten Jahrhundert vor Christi Geburt.«
»Ach so, dann ist er ja schon lange tot«, erwiderte sie und schien ein wenig enttäuscht zu sein.
Nider musste lächeln.
Die Fahrt wurde langsamer, die Pferde schienen allmählich müde zu werden, ihr Schnauben klang gequält, wenn sie der Kutscher mit heftigem Zügelschlag und lautem Peitschenknall vorwärts trieb. Wie Schatten tauchten zwei Reiter aus dem schweren Grau auf. Seit dem Aufbruch am Morgen war ihnen kein Lebewesen begegnet. Auch die Dörfer und Weiler, durch die sie kamen, schienen wie ausgestorben und Hütten, Bäume, Sträucher schienen sich hinter dem dicht fallenden Regen zu verstecken. Die beiden Männer hielten an und auch die Kutsche kam zum Stillstand.
Von den breiten Hutkrempen der Reiter troff das Wasser, zog in kleinen Bächen durch die lehmige Erde, mit der die Rösser bis zur Brust bespritzt waren und die voll gesogenen ledernen Umhänge klebten wie dicke Häute an den Körpern.
»Was habt ihr denn Wichtiges vor, dass ihr bei dem Wetter unterwegs seid?«
»Gute Frage, himmel …«, wollte der eine erwidern.
Erschrocken legte der Kutscher den Zeigefinger an die Lippen, deutete dann mit dem Daumen über die Schulter nach hinten und machte verstohlen ein Kreuzzeichen. Die beiden verstanden.
»Da hast du Recht«, fuhr der andere fort, »normalerweise jagt man heute keinen Hund vor das Haus. Ich bin Maler und mein Kamerad ist
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