Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
Konstanzer Konzil teilgenommen. Du warst einige Zeit in einem Konvent in Oberitalien bei Venedig und jetzt kommst du geradewegs aus Nürnberg. Vielleicht hast du an all diesen Orten mehr Wissen um die Wahrheit erfahren, das mag sein. Die Menschen hier sind ungebildet, sie sind nicht besser als an anderen Orten, an denen du warst. Trotzdem wirst du milde gestimmt, sobald du hierher kommst. Dein Urteil ist weniger streng, du bist eher bereit, über die Schwächen deiner Mitmenschen hinwegzusehen. Du glaubst, sie zu verstehen, weil du mit ihnen aufgewachsen bist und viele gleiche Fehler gemacht hast wie sie.
Ihm kam in den Sinn, wie ihn seine Mutter umarmen wollte und er sie von sich schob, als er ihr seinen Entschluss mitteilte, dass er Priester werden wolle.
»Ja, mein lieber Johannes«, murmelte er, »ja. Auch Heimat macht subjektiv.«
Schwer atmend stemmte er seinen fülligen Körper in die Höhe, packte sein Bündel und schritt der freien Reichsstadt Isny zu. Wo das Haus seiner Jugend gestanden hatte, weideten ein paar Ziegen die dünnen Halme. Ein verschorfter Hütejunge sah ihn aus blöden Augen an und versuchte lallend seinen freundlichen Gruß zu erwidern. Zum Grab seiner Mutter fragte er sich durch und fand es verwildert, mit Gras und Unkraut überwachsen vor.
Auf sein Klopfen an der Klosterpforte öffnete ein junger Mönch und als er seinen Namen nannte, wurde dessen Haltung unterwürfig und devot.
»Bruder Johannes, der berühmteste Sohn der Stadt …«, stammelte er.
»Ich bin nur ein kleiner unbedeutender Dominikaner und es ist nicht recht, wenn du mich wegen meiner vom Herrn gegebenen Gaben anders behandelst als einen anderen beliebigen Mitbruder«, wies er ihn scharf zurecht. »Und der berühmteste Sohn der Stadt bin ich noch lange nicht. Dieses Attribut steht sicher Heinrich von Isny zu, nicht mir!«
»Heinrich von Isny? Ich komme aus Ulm und bin noch nicht lange hier im Konvent«, antwortete der Benediktiner verlegen.
Nider seufzte, dann gab er sich einen Ruck: »Komm, ich erzähle dir kurz die Geschichte, damit du eine Ahnung von seinem Stellenwert bekommst. Heinrich von Isny war Franziskanermönch und der wichtigste Vertraute König Rudolphs, dem ersten Habsburger auf deutschem Thron. Rudolphs Gemahlin Anna von Hohenberg bat auf dem Totenbett, in Basel an der Seite ihres früh verstorbenen Sohnes Karl und nicht in Wien beigesetzt zu werden. König Rudolph respektierte diesen ihren letzten Wunsch, doch die Überführung von Wien nach Basel war keine einfache Sache, wie du dir vorstellen kannst. Ihrem Leichnam wurden die Eingeweide entnommen, die Bauchhöhle wurde mit Sand und Asche gefüllt, das Gesicht einbalsamiert. Dann überzog man den Körper mit einem Wachstuch und hüllte ihn in prächtige Gewänder. Eine goldene Kette zierte das verschleierte Haupt. Die tote Königin bettete man in den Sarg aus Buchenholz, der mit eisernen Bändern verschlossen wurde. Rudolph konnte sie auf ihrer letzten Reise nicht begleiten, da ihn die Geschäfte in Wien zurückhielten. Seinem vertrauenswürdigsten Mann, Heinrich von Isny, erteilte er den Auftrag, für ein würdiges Begräbnis zu sorgen. Vierzig Pferde waren dem Leichenwagen vorgespannt, je zwei Dominikaner und Minoriten begleiteten den düsteren Zug, der Ende März 1281, ich glaube, es war am zwanzigsten, in Basel anlangte. Eintausendzweihundert Kleriker erwarteten dort die tote Königin. Drei Bischöfe zelebrierten das Totenamt, bei dem der Sarg senkrecht aufgestellt wurde und der Deckel geöffnet war, damit alle Anwesenden die Verstorbene noch einmal sehen konnten. Unter dem Wehklagen vieler wurde dann die sterbliche Hülle Königin Annas im Chor des Münsters beigesetzt. So viel zu Heinrich von Isny.«
»Das alles wisst Ihr aus dem Gedächtnis?«, fragte der junge Mönch staunend.
»Sicher. Er stammt ja auch aus Isny. Ist der Bruder Abt da?«, wollte er übergangslos wissen.
»Ja, ich hole ihn«, stammelte der junge Benediktiner immer noch verdattert ob der unerwarteten Belehrung und verschwand mit hochrotem Kopf.
Der Abt war ein hagerer Mönch mit ernstem Gesicht. »Bruder Johannes Nider!«, sagte er feierlich schon beim Eintreten, »welche Ehre für unseren Konvent!«
»Ohne diesen Konvent würde es den Bruder Johannes Nider gar nicht geben, der würde wahrscheinlich irgendwo vor der Stadt Schweine hüten oder sich wie sein Vater als Flickschuster durchs Leben schlagen. Bitte behandelt mich daher wie einen der geringsten Eurer Brüder!«,
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