Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
deswegen funktioniert ihr Gemeinwesen. Sie haben viele Eigenschaften, die nicht nur den einfachen Menschen, sondern auch der Geistlichkeit gut zu Gesicht stehen würden.«
»Du musst das aufschreiben!«, erwiderte Pater Anselmus bestimmt.
»Ich weiß!« Nider nickte müde.
»Und? Warum machst du es nicht?«
»Seht, überall wimmelt es von verblendeten und vom wahren Glauben abgefallenen Menschen, die meinen, über eine gewisse Bildung in Glaubensdingen zu verfügen und mit feurigen Worten gegen unsere Kirche predigen und nicht nur die einfachen Leute, sondern oftmals auch diejenigen, die die weltliche Macht ausüben, verblenden und mitten ins Verderben führen. Ich sehe ja selbst, dass in unserer Mutter Kirche vieles nicht in Ordnung ist und ich bin gerade auf dem Weg nach Basel, um den Augiasstall im dortigen Dominikanerkloster auszuräumen. Es ist nicht verwunderlich, wenn das liederliche Leben der Mönche für einige Anlass ist, den Finger in die schwärende Wunde zu legen. Sie behaupten, sie hätten Visionen und Offenbarungen, sie ziehen durch die Städte und Dörfer, scharen Anhänger um sich und bilden Sekten. Sie stellen sich außerhalb des seit den im vierten und fünften Jahrhundert während der großen Synoden herausgearbeiteten opinio communis. Damit trennen sie sich aber nicht nur von der anerkannten christlichen Lehre, sondern auch von der Kirche als Organisation. So stürzen sie sowohl den Staat als auch die Kirche um.«
Er musste laut und langsam sprechen, und erst als Pater Anselmus als Zeichen nickte, dass er verstanden hatte, redete er weiter.
»Nehmt zum Beispiel Nikolaus von Basel. Als Begharde lebte er als Laie in klosterähnlicher Gemeinschaft, widmete sich der Krankenpflege und Leichenbestattung. Aus der bei den Begharden und Beghinen nicht gerade unüblichen Schwarmgeisterei, die schließlich zu ihrem Verbot auf dem Konzil von Vienne führte, wurde bei ihm Freigeisterei. Auch er behauptete, er habe Visionen und Offenbarungen, es gelang ihm, mit seinen farbenreichen Schilderungen offensichtliche Irrtümer als Wahrheit zu verkünden und Schüler um sich zu scharen. Seinen Zuhörern versicherte er glaubhaft, dass Christus in seinem Handeln sei und er in Christus. Lange Zeit konnte er der Inquisition entkommen, schließlich wurde er aber in Wien gefangen genommen, wo er gestand und zusammen mit seinen Schülern Jakob und Johannes von der weltlichen Gewalt verbrannt wurde. Oder nehmen wir den Begharden Burginus. In Konstanz fiel er durch sein asketisches Leben auf und erregte Aufmerksamkeit durch verrückte Visionen und Offenbarungen, aus denen er eine neue Regel und eine neue Glaubenslehre stampfte. Auch er sammelte Schüler um sich, die genau so verrückt waren wie er selbst. Seine Anschauungen waren so konfus, dass sie nur mit dem Einfluss eines bösen Geistes erklärbar sind.«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Pater Anselmus, »er wurde zusammen mit seiner Regel auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
Nider nickte. »Oder die Hussiten«, ereiferte er sich, »gerade sie sind ein exemplarisches Beispiel, wohin ihre Irrlehre führt. Seht selbst, was sie anrichten, sogar untereinander sind sie sich uneins und haben sich in zwei Richtungen gespalten, hier die Utraquisten in Prag und dort die Taboriten im böhmischen Tabor, die auf die Ankunft des Jüngsten Tages warten und dem König und der Kirche Zins und Fronarbeit verweigern. Die Deutschen haben sie vertrieben, Kirchen und Klöster verwüstet und alle Kleriker, deren sie habhaft werden konnten, haben sie umgebracht. In ihrer Uneinigkeit sind sie dabei, das halbe christliche Abendland in Schutt und Asche zu legen.«
»Vielleicht ist da unser deutscher Kaiser Sigismund nicht ganz unschuldig daran. Erst hat er dem Johannes Hus 1415 freies Geleit zum Konzil in Konstanz versprochen, ist dann aber wortbrüchig geworden und ließ ihn auf dem Scheiterhaufen verbrennen«, warf Pater Anselmus ein, »erst danach kam es zu den Aufständen und den Kriegen, in denen sie ganze Kreuzritterheere vernichteten und es immer noch tun!«
»Ich war auch auf dem Konzil. Dort war nichts vom Wehen des Heiligen Geistes zu spüren. Es war einfach widerlich, auch wie sie mit dem Hus umgesprungen sind, war barbarisch. Aber trotzdem: Wehret den Anfängen!«, entgegnete Nider. »Eine einzige kranke Ameise kann ein ganzes Volk ins Verderben führen, um wie viel mächtiger und verheerender ist aber ein kranker Gedanke?«
»Kranke Ameisen werden von ihrem Volk umgebracht?«,
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