Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
Nagelschmied geholt.
Die beiden Männer nahmen von dem kleinen Mönch kaum Notiz und erzählten von ihren Geschäften. Der Schmied meinte, wenn das Wetter auch dieses Jahr so weitergehe, wie es angefangen habe, werde bald das Fleisch billiger sein als das Brot, weil es dann mehr als genug zum Schlachten gebe, wenn das Vieh kein Futter mehr habe.
Der Gerber pflichtete ihm bei und sagte, dass er dann zwar die Häute nachgeworfen bekomme, aber andererseits für das Leder nichts mehr bezahlt würde, da jeder den anderen unterbieten würde, um seine Ware überhaupt noch loszuwerden.
»Droben in Kempten haben sie, so hat man mir es erzählt, einen Mann beobachtet, der nachts durch einen Kamin aus dem Haus geflogen sein soll. Er sei dann in der Luft stehen geblieben und auf einmal sollen aus zwei anderen Häusern auch durch den Kamin zwei Frauen in die Luft gestiegen sein. Wenn man nicht genau hingesehen habe, hätte man in der Dunkelheit glauben können, es seien nur Rauchfahnen. Aber diese drei hätten dann so zu lachen angefangen, dass einem das Blut in den Adern gefroren sei. Eines der Weiber hätte übermütig geschrien: ›Tun wir es?‹ und die anderen hätten noch lauter gelacht und zurückgeschrien: ›Ja, ja!‹. Dann seien sie über die Stadt geflogen und hätten eine riesige Wetterwolke hinter sich hergezogen und es habe danach drei Tage lang geschüttet wie aus Kübeln.«
Nider war hellwach, mischte sich aber nicht ein, sondern hörte nur still zu.
»Es soll sogar Zauberer geben, die Kühe melken können, ohne dass sie die Kuh berühren. Angefangen habe das in der Schweiz, hat mir ein fahrender Händler erzählt. Sie nehmen eine Axt, schlagen diese neben der Stalltüre in den Rahmen, sprechen einen Zauberspruch und können dann die Milch aus dem Axtstiel heraus melken. Wenn du in den Stall kommst, ist die Kuh leer«, sagte der Schmied.
»Das Handwerk gehört denen gelegt. Wenn ich so jemanden erwischen würde … niemand unternimmt etwas dagegen. Jeder weiß es, aber keiner tut etwas«, schimpfte der Gerber und der Schmied gab ihm Recht.
Kurz vor Isny klarte der Himmel auf und Nider rief dem Kutscher nach vorne zu, er solle anhalten. »Lass mich aussteigen. Ich möchte zu Fuß weitergehen!«
»Aber Ihr habt doch bis Isny bezahlt!«
»Das Geld kannst du deswegen behalten.«
Wie kann man nur freiwillig gehen wollen, wenn man bequem fahren kann. Das ist schon ein sonderbarer Pfaffe, dachte der Kutscher bei sich und machte »Brrr, brrr«, worauf die Pferde zum Stillstand kamen.
Nider legte sein Bündel auf einen feuchten Holzstamm, setzte sich darauf und sah der Kutsche nach, wie sie allmählich kleiner und kleiner wurde und dann hinter einem Hügel ganz verschwand.
Tief sog er den Duft der dampfenden Erde in sich, sein Gesicht drehte er in die wärmenden Strahlen der Sonne und sein Blick wanderte hinüber zu den mehlweiß überpuderten Gipfeln der Nagelfluhkette, deren Flanken mit braunen Murenstreifen durchzogen waren.
»Schnee. So viel Neuschnee – und das um diese Zeit«, murmelte er.
Wie lange war er nicht mehr hier gewesen? Er versuchte nachzurechnen, gab es dann aber auf. Mehr als ein Dutzend Jahre mochte es wohl her sein. Er lauschte dem Wind, der in den Blättern der Bäume raschelte, irgendwo sang eine Amsel und eine Lerche stieg tirilierend in die Höhe, ganz so, als ob sie ihrer Freude über das Ende des Unwetters Ausdruck verleihen wollte. Neunundvierzig Jahre war er nun alt. Nider schloss die Augen und sah den kleinen Johannes, wie er durch die Felder und Wiesen streifte. Im Konvent saß er zu Füßen seiner Lehrer, er sah das ernste und vorzeitig gealterte Gesicht seiner Mutter und spürte dabei, wie es in seinem Herzen einen Stich gab. Wie mochte sie wohl ausgesehen haben, als sie starb? Ob das Haus wohl noch stand?
Er spürte, wie es ihn warm durchflutete, dieses Gefühl für das Vertraute, Bekannte, Kleine.
Das Kleine, ja, das ist der richtige Ausdruck, dachte er, Heimat, das ist die kleine Welt in der großen Welt. Hier hast du deinen ersten Atemzug getan und die ersten Schritte gemacht. Hier hast du jeden Tag einen neuen Teil einer nur dir zugänglichen Welt entdeckt und mit jeder deiner neuen Erfahrung hat sich auch dein – wenn auch noch kleines – Weltbild erweitert. Hier hast du zum ersten Mal die Liebe deiner Eltern gespürt, auch die deines Vaters, auch wenn du dich nicht mehr an ihn erinnern kannst. Wo bist du überall herumgekommen? Du warst in Köln und Wien, hast am
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