Hexenhammer: Historischer Roman (German Edition)
fragte Anselmus verdutzt.
»Nein. Im Gegenteil. Sie werden gepflegt. Selbst dann, wenn eine Rettung aussichtslos ist und der ganze Haufen angesteckt wird und zugrunde geht. Sie haben keine Kenntnisse über Krankheiten und deren mögliche Folgen, wie wir sie als vernunftbegabte Wesen besitzen. Auch die Mutter Kirche versucht ja – wenn wir bei diesem Bild bleiben wollen – das kranke Mitglied zu heilen. Sie will die verwirrten und kranken Geister zur Einsicht bringen und will sie nicht als Mitglieder der Gemeinschaft verlieren.« Nider hielt einen Moment inne und fuhr dann fort: »Anders aber verhält es sich, wenn es sich um ein nicht zum eigenen Haufen gehöriges Tier handelt. Es wird gnadenlos bekämpft und unschädlich gemacht. Selbst dann, wenn es sich um ein Mitglied eines ursprünglich verwandten Stammes handelt. Ja, die Hussiten, gleichgültig ob nun Utraquisten oder Taboriten, gehören vernichtet und restlos ausgemerzt, weil sie die gottgewollte Ordnung in Chaos verwandeln!«
»Ja, erst ihre Uneinigkeit führte zum Bürgerkrieg, der sich dann zum Flächenbrand ausweitete«, murmelte der greise Mönch.
»… und inzwischen auf Österreich, Ungarn, Bayern, Brandenburg, Sachsen und Schlesien übergegriffen hat!«, ergänzte Nider. »In ihren vier Prager Artikeln fordern sie die freie Lehre, die Spendung des Laienkelches, Vermögensverzicht für den Klerus und Ahndung von Todsünden durch weltliche Gerichte. Was aber würde in einem Ameisenhaufen passieren, wenn jedes Tierchen das Recht hätte, anstatt seiner in der göttlichen Ordnung vorgesehenen Tätigkeit nachzugehen, diese in Frage stellen dürfte? Der Staat würde zusammenbrechen!«
»Komm, es ist Zeit zum Abendmahl«, sagte Pater Anselmus, »gehen wir ins Refektorium!«
Die beiden Mönche erhoben sich und als Nider seinem greisen Mitbruder helfend unter den Arm greifen wollte, wehrte dieser energisch ab.
»Lass das. Ich komme schon zurecht!«
»Apostolischer Kommunismus«, murmelte Nider, während sie aus der Dämmerung der Kirche traten.
»Was?«, fragte Pater Anselmus, der ihn nicht verstanden hatte.
»Apostolischer Kommunismus. So nennen die Taboriten die Form ihres Zusammenlebens. Das hört sich in der Theorie sicher gut an, in der Praxis wird und kann es aber nicht funktionieren, schon allein deswegen, weil es Faule und Fleißige gibt und es Letztere irgendwann überdrüssig werden, für die Piger mit zu arbeiten.«
»Wen meinst du mit Piger, den Faulen oder den Verdrossenen? Das Wort hat ja zwei Bedeutungen.«
»Beide. Der Faule ist faul, weil er ja sieht, dass andere für ihn arbeiten. Der Verdrossene aber wird faul, weil er nicht einsieht, dass er für den Faulen arbeiten soll!«
»Wenn ich mich recht entsinne, hast du mir einmal erklärt, dass es auch unter den Ameisen Faule und Emsige gibt?«
»Ja, das stimmt. Aber ihr müsst Euch das etwas anders vorstellen. Ein Ameisenhaufen ist ein durch und durch soziales Gebilde, der Staat ist sozusagen auch gleichzeitig das Gehirn und jede einzelne Ameise wiederum ein Teil davon. Eine einzelne Ameise an sich ist dumm, aber trotzdem kennt sie ihre Pflichten, ohne dass sie darum weiß. Dem Menschen aber wurde vom Schöpfer ein eigenes Gehirn mit auf den Erdenweg gegeben, das es ihm ermöglicht, seine Umgebung zu erfassen, zu analysieren und zu beurteilen. Wie Ihr selbst wisst, missbrauchen aber die meisten ihr Urteilsvermögen. Sie streben nicht nach Erkenntnis und Wahrheit, sondern sie vertun ihre Erdenzeit damit, sich möglichst viele persönliche Vorteile zu sichern, was zwangsläufig zu Missgunst und Neid führt.« Nider musste stehen bleiben, weil ihn das laute Sprechen mit dem schwerhörigen Mönch anstrengte.
»Du bist also der Ansicht, dass ein Gemeinwesen, in dem der persönliche Besitz weitgehend abgeschafft ist, nicht existenzfähig ist? Dann dürfte es auch keine Klöster geben, da ihr Dasein auf ebensolchen Forderungen beruht!«
Der Dominikaner hatte sich wieder ein wenig erholt, atmete aber immer noch schwer. »Nein und ja. Aber es geht nur mit Freiwilligkeit. Ein junger Mensch, der in ein Kloster eintreten will, hat während des Noviziats genügend Zeit, sich über die Tragweite seines Entschlusses klar zu werden und zu prüfen, ob ihm diese enthaltsame Lebensweise zusagt. Auch funktioniert es nur in kleinen Einheiten mit persönlichen Bindungen. Je größer und damit anonymer eine Gemeinschaft wird, die sich die Früchte ihrer Arbeit teilt, um so schwächer der Trieb, zur
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