Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Freilichtatelier, konnte sich Carlo bei Lucia, wenn er mal etwas Zeit für sie fand, nicht genug darüber auslassen. Allerdings war das auch ein Ablenkungsmanöver, denn er ging in letzter Zeit zwar ebenso häufig aus wie zuvor, doch nicht mehr mit Lucia, und nun befürchtete er, sie könne ihm diesbezügliche Fragen stellen. Schmuck hergerichtet, wie er dann stets das Haus verließ, vermutete Lucia, er habe einen Liebhaber. Doch sie übergingen dieses Thema, Lucia und Carlo hatten noch nie offen über seine Veranlagung gesprochen.
Der Heuert hatte begonnen, vor Lucia lagen nur noch wenige Tage bis zu ihrer Reise nach Meran, als Leonardo ihr auftrug, ihre Malstudien vorab einzustellen. Da sie jedoch gerade jetzt Seelenimpulse in sich zu fühlen vermeinte, protestierte sie dagegen.
"Seelenimpulse, si", lächelte Leonardo, "und schon kommt wieder Erwartung auf. Aber nicht deshalb sollst du diese Studien unterbrechen, Lukas, vielmehr wegen des Eifers, der dich dabei plötzlich antreibt."
Beides traf zu, Lucia hatte vor ihrer Abreise noch einen Erfolg erringen wollen.
"Nicht gleich den Kopf hängen lassen", munterte Leonardo sie auf, "Erwartung und Übereifer sind die üblichen Anfangsfehler. In diesem Zusammenhang kommt deine bevorstehende Reise zum genau richtigen Zeitpunkt, denn nichts hilft dir jetzt mehr als eine längere, abwechslungsreiche Pause. Bis dich dein Onkel abholt, machst du dir ein paar vergnügliche Tage, hast von jetzt an frei dazu. - Na, kein Freudestrahlen?"
"Doch", lachte sie ihn jetzt an, "Leonardo, du bist der Beste!"
"Mamma mia, geht das unter die Haut!", lachte er zurück.
Ihre Reisevorbereitungen hatte Lucia längst getroffen. Alphonse hatte ihr bei seinem letzten Besuch angekündigt, sie würden sich diesmal bequem von Droschken kutschieren lassen, jeden Morgen und jeden Mittag eine neue Droschke, so kämen sie dann ausgeruht in Meran an. Um sich die dazu notwendige Garderobe zu beschaffen, hatte Lucia ein Einfall gerettet. Statt sich dazu vom Schneidermeister Alberto am Körper Maß nehmen zu lassen, hatte sie ihm Lukaskleidung mitgebracht, nach deren Maß er ihr einen indigofarbenen Sommeranzug und aus dem gleichen Stoff einen Rock für ihre angebliche Schwester hatte anfertigen lassen. Jetzt freute sie sich darauf, diese Stücke bald tragen zu können, denn sie hatten einen saloppen Schnitt, und in indigo, ein leicht rötliches hellblau, gefiel sie sich. Weitere Kleidung benötigte sie nicht, ihr Wandkasten in Meran war reichlich gefüllt, allerdings nur mit solider Garderobe, ganz ihrem dortigen Biederdasein angepasst.
So hatte Lucia nun Zeit zum Bummeln, das sie mit Wonne auskostete. Überwiegend im Hofgarten, der so weitflächig war, dass der Palazzo mehr als zehnmal Platz darin fänd, weshalb man hier auf etliche Winkel stieß, die zur Siesta einluden. An diesen beschaulichen Orten ließ sie sich auch zwischen ihrem Umherschlendern immer mal wieder auf eine Bank oder ins Gras nieder, träumte vor sich hin, beobachtete die Wolken, Vögel oder Schmetterlinge, und bisweilen plauschte sie ein wenig mit Filippo, dem Gartenknecht oder mit Pietro, der längst glücklich erkannt hatte, dass jeder neue Regen tatsächlich allen Steinstaub von seinen Pflanzenkindern wieder abwusch.
Zwei Tage gab sie sich dieser Faulenzerei hin, dann traf Alphonse ein. Sie wollte ihn nach ihrer Begrüßung sogleich mit sich zu einer schattigen Gartenbank ziehen, er jedoch, völlig durchgeschwitzt, wehrte lachend ab: "Nicht so stürmisch, du Neuitaliener. Erst benötige ich ein Bad, und wenn ich danach frische Kleider am Leib habe, bin ich wieder ansprechbar."
Nach dem Abendbrot saß Lucia bei ihrem an Leib und Seele erfrischten Zio im Garten seines Gasthofs. Lucia war bereits bei ihrer Begrüßung ein neuer Ring an Alphonses Hand aufgefallen und erkundigte sich nun, ob er sich etwa verlobt habe.
"Oui, vor drei Wochen", bestätigte er glücklich.
"Wie mich das freut, meinen Glückwunsch! Wie heißt sie, wie alt ist sie? Ist sie hübsch? Erzähl mir endlich!"
"Claire heißt sie und ist zweiunddreißig", begann er und berichtete dann ausführlich von seiner sanftmütigen, klugen, umsichtigen Claire, der er bereits seit mehreren Jahren freundschaftlich zugeneigt gewesen sei, und auf dem letzten Silvesterball seien sie sich schließlich näher gekommen. Sie erfülle alles, was man sich von einer Gemahlin und künftigen Marquise wünschen könne, der Meinung seien auch seine Eltern. Diese Dame werde er heiraten, noch
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