Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
Malen zusah, verweilte Lucia längere Zeit seitlich hinter ihm. Dann erinnerte sie sich wieder, dass auch sie sich diese Malweise aneignen soll und war noch überzeugter als zuvor - nein, das schaffe ich nie. Sie kam sich vor, wie der kümmerlichste Garzone, und in dieser Verfassung stahl sie sich zurück zu ihrer Staffelei.
Dennoch setzte sie zu einem weiteren Versuch an. Da ihr jedoch kaum noch Selbstvertrauen verblieben war, ließ jeglicher Erfolg auf sich warten. Als schließlich der Mittag nahte, pinselte sie, um Leonardo wenigstens ihr Bemühen zu demonstrieren, einige Striche, Wellenlinien und Punkte auf den Karton. Was sich später allerdings als unnötig erwies, denn Leonardo warf nicht einen Blick auf dieses peinliche Produkt.
Kaum anders verliefen die Malübungen, vielmehr Malhoffnungen, in den folgenden Tagen. Zwar glaubte Lucia mitunter, eine Anregung in sich zu spüren oder eine sonderbare Kraft im rechten Arm, doch das erwies sich in allen Fällen als Einbildung, Wunschdenken. Ebenso, wie sie sich, wenn sie längere Zeit tatenlos vor ihrem blanken Malkarton saß, insgeheim wünschte, einer der Künstler verlange frisches Terpentin von ihr, oder ein Atelierbesucher trät ein, dem sie die hiesigen Gemälde vorführen soll. Doch solche Unterbrechungen waren ihr nicht vergönnt. Wenn sie vor ihrer Staffelei saß, sprach sie auf Leonardos Geheiß niemand an. Sie musste sich in Geduld üben - Geduld, Geduld. Und da sie trotz allem guten Willens war, setzte sie immer wieder erneut zu einer Selbstversenkung an, konzentrierte sich ruhig, ganz ruhig auf die Mitte ihrer Brust, bis sie sich, so gut sie es vermochte, in ihr Seelenherz eingelebt und die Außenwelt vergessen hatte. Wenn sie hinterher die Augen wieder öffnete, war sie von stiller Freude erfüllt. Kurz danach aber stets wieder die Enttäuschung, wenn sie abermals vergeblich auf eine aus der Seele herrührende Anregung wartete. Wäre Lucia von Natur aus nicht beharrlich gewesen, hätte sie diese Stunden an der Staffelei nicht durchstehen können, zumal Leonardo sie ganz sich selbst überließ.
Erst nach Ablauf einer Woche bat Leonardo sie in sein Privatatelier, um sich nach ihren Malstudien zu erkundigen.
"Spärlich", musste sie ihm gestehen und schilderte ihre Misserfolge.
Darauf erinnerte er sie, ihr bereits früher dargelegt zu haben, das Erlernen intuitiver Malweise erfordere ebenso viel Bereitschaft wie Geduld, und ihr derzeitiger Hauptfehler sei, etwas zu erwarten. "Erwartung entstammt dem Gemüt", erklärte er, "und das soll ja während deiner Übungen schweigen, damit sich höhere Kräfte entfalten können."
"Stimmt, den Fehler sehe ich ein", gab sie zu, worauf er fortfuhr:
"Bedenke außerdem, dass dir die höhere Seelenwelt noch weitgehend unbekannt ist, du aber erwartest etwas dir Vertrautes, etwas aus dem Gemüt Stammendes, und damit versperrst du den wahren Seelenkräften den Weg nach außen."
"Si, auch das leuchtet ein. Grazie, Leonardo!"
Dieses aufklärende Gespräch hatte Lucia von ihrem Erwartungsdruck befreit, weshalb ihre Malübungen nunmehr überwiegend aus Selbstversenkungen bestanden. Das zeitigte zwar keinen äußeren Erfolg, wohl aber lockerte sich ihr Gemüt und verlor somit an Dominanz.
Was unter anderem zur Folge hatte, dass sie ihrer bevorstehenden Meranreise nun immer gelassener entgegen blickte.
Von Carlo hatte sie sich während der zurückliegenden zwei Monde etwas entfremdet, was an den derzeitigen Umständen in der Bottega lag. War sie intensiv im Malatelier beschäftigt, so betätigte Carlo sich nicht minder intensiv und oft bis in die Abendstunden hinein im Freilichtatelier. Die Treppenstufen waren inzwischen verschalt, die s-förmigen Stützpfeiler für die Treppengeländer wurden jetzt nur noch von den Gast- und den Gießereikünstlern zurecht gemeißelt, während Leonardo, Bernardino, Giovanni und Carlo je eine kunstvolle Stützfigur erschufen, die den jeweils untersten Geländerpfeiler ersetzen soll.
Bernardino meißelte einen aufgerichteten Fisch aus, Giovanni Merkur, den Götterboten, Carlo einen Elefanten, und was Leonardo aus seinem Marmorblock zu gestalten begann, gab er noch nicht preis.
Lucia beherrschte die Bildhauerei inzwischen zwar ebenfalls erstaunlich gut, dennoch lag sie ihr nicht sonderlich, sie, eine Bellesigna, musste mit so Farben gestalten. Im Gegensatz zu Carlo, dem das wesentliche Gespür für Farben abging, dessen Sinn für Formen aber umso ausgeprägter war.
Erfüllt von seiner Tätigkeit im
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