Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
ihn lachend zurechtwies: "Kuck endlich woanders hin, ein Kamel sieht wüster aus."
"Si, Maestro", grinste Salai darauf noch mehr und wandte sich wieder seiner Bastelarbeit zu.
Leonardo, mit dem zerrissenen Farbkarton in seinen davon farbverschmierten Händen, ging unterdessen zur Korridortür, hielt jedoch auf halber Strecke ein, um Lucia zu fragen: "Lukas, würdest du gerne von mir porträtiert werden?"
Sie war verdattert, weshalb er hinzufügte: "Das ist eine ernsthafte Frage, auf die ich eine ebensolche Antwort wünsche."
Also überlegte Lucia, und bei der Vorstellung, sein Malerblick dringe dabei unweigerlich in ihre Gefühlswelt, wurde ihr unbehaglich. Gleichzeitig begriff sie, dass Leonardo das umgekehrt von ihr ebenso wenig wünschte.
"Na?", regte er sie an, worauf sie ihn, anstelle einer Antwort, schuldbewusst anlächelte.
"Siehst du", gab er zurück, "deshalb habe ich dir das Bild entrissen. Hoffentlich noch rechtzeitig!"
Dann verließ er das Atelier endgültig.
Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, war Lucia auf peinliche Fragen gefasst, denn auf die kurze Konversation zwischen Leonardo und ihr am Schluss konnte sich ein Außenstehender ja keinen Reim machen. Doch es kamen keine Fragen, Giovanni bemerkte lediglich: "Aus euch zwei Weitcousins soll man manchmal klug werden", und darauf brauchte sie nicht zu antworten.
Tag für Tag übte sich Lucia im Malen, mal geduldig, mal verärgert über ihr Unvermögen, jedoch immer fleißig.
Währenddessen beschäftigte sie untergründig ihr bevorstehender Besuch in Meran. In sechs Wochen, zu Beginn des Heuert, wird Alphonse sie abholen und je näher der Termin rückte, umso unruhiger wurde sie. Auf ihre Mutter und Justus freute sie sich sehr, auch auf ihre früheren Freundinnen, Bekannten und Kollegen, dachte sie jedoch an ihren Vater, dann zog sich ihr Bauch zusammen. Nicht, dass sie ihn heute noch fürchtete, sie konnte nur nicht abschätzen, wie er auf ihr unerwartetes Erscheinen reagieren wird.
Diese Gedanken beeinträchtigten massiv ihre Malversuche. Was Leonardo besorgt beobachtete und sie deshalb darauf hinwies, jeder Garzone müsse lernen, sein Schaffen von den Höhen und Tiefen des Lebens nicht berühren zu lassen. "Wahre Kunst kann nur aus tiefinnerer Harmonie entspringen", war einer seiner Lehrsätze. Als er Lucia nun eines frühen Morgens alleine im Atelier vorfand, schlug er ihr vor, jeden Morgen nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafengehen eine bewusste Besinnung auf ihr Tiefinneres auszuführen. Das erinnerte Lucia an Besinnungsübungen, die ihr früher Schwester Natalia beigebrachte hatte, und sie fragte Leonardo, ob er darunter Selbstversenkungen verstehe, die nämlich kenne sie von ihrem Klosteraufenthalt her. Er bejahte erfreut und wollte erfahren, ob sie die denn auch später noch ausgeübt habe.
"Immer seltener", musste sie zugeben, "aber ich bin dir dankbar, dass du sie mir wieder in Erinnerung gerufen hast."
"Welcher Art Versenkungen hast du durchgeführt?"
Lucia schilderte sie ihm: "Aufrecht und entspannt zurechtsetzen, am besten den Lotossitz einnehmen. Dann die Augen schließen und die Gedanken abschalten, an nichts mehr denken, nichts mehr beachten. Und wenn dieser Zustand erreicht ist, ruhig, ganz ruhig auf die Mitte der Brust, dem Sitz des Seelenherzens, konzentrieren."
"Wunderbar, Lukas, das ist bereits die Vorbereitung für Meditationen. Ich kann dir nur empfehlen, diese Übungen wieder aufzunehmen."
"Mit Freuden, si, das werde ich."
Seitdem führte Lucia wieder wie früher jeden Morgen und Abend eine Selbstversenkung durch. Zu ihrer Überraschung hatte sie nichts verlernt, die Versenkungen gelangen ihr heute sogar besser als damals. Auch ihre nachträgliche Wirkung war durchschlagender. Lucia wurde ausgeglichener und gewann innere Festigkeit.
Das fiel Leonardo auf, weshalb er sie nach einer Woche sagte: "Man sieht dir deine Selbstversenkungen an, Lukas, deine Seele beginnt bereits zu lächeln."
Diese Tatsache bewog Leonardo, Lucias Malübungen noch am gleichen Tag darauf abzustimmen. Er trat zu ihrem Malplatz, ließ sich, wie stets etwas entfernt von ihr, auf Carlos Hocker nieder und begann: "Heute trittst du in eine neue Malphase ein, Lukas. Anfangs hast du ängstlich dein Gemüt verschlossen, dann hast du es allmählich geöffnet und schließlich alle Emotionen in deine Bilder entladen - und damit ist nun genug. Der Weg durch dein Gemüt hindurch zu deiner höheren, der eigentlichen Seele ist vorbereitet." Er
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