Hexenkunst: Historischer Roman (German Edition)
seinem Vater aufgewachsen, pflege jedoch mit beiden bis heute regen Kontakt, was er umso mehr begrüße, da seine Mamma eine Strega dell'Arte, eine Kunsthexe, sei, wie man hierzulande weibliche Artisti scherzhaft nenne.
Dieses Thema nutzte Alphonse, um Leonardo endlich zu fragen, ob Salais Pflegeeltern ihm noch immer Schwierigkeiten wegen der Adoption bereiteten, und gleichzeitig bot er ihm seine Hilfe als Rechtsgelehrter an. Leonardos Gesicht war zusammengefallen, und jetzt gab er mit schleppenden Worten preis: "Mir hängt aus Florenz eine Jugendsünde nach, Alfonso, für die ich mich damals vor dem Magistrat habe verantworten müssen. Aber jung und schamhaft wie ich war, habe ich mich schlecht verteidigt, was ja nachträglich nicht mehr zu korrigieren ist."
"Eine Jugendsünde", wiederholte Alphonse in weichem Ton, "ich verstehe, verstehe sehr gut. Denn auch ich habe eine begangen, und die hat mein ganzes Leben in eine andere Bahn gelenkt. Aber bei dir liegen die Dinge anders, Leonardo. Sag, Salais Pflegeeltern ist diese Angelegenheit zu Ohren gekommen, und sie benutzen sie, um deinen Adoptionswunsch zu blockieren, oui?"
"Si. Aber keineswegs wegen moralischer Bedenken, oh no. Salais leibliche Eltern haben ihrem Bub eine ansehnliche Summe hinterlassen, die diese Pflegeeltern heute verwalten und von der auch sie nicht schlecht leben."
Alphonse nickte nachdenklich und bot ihm neuerlich seine Hilfe an: "In der Justiz sind für jegliche Situationen Mittel und Wege verborgen. Wenn du dich mir anvertrauen willst, finde ich vielleicht eine Möglichkeit für dich und Salai. Überlege es dir, und Näheres können wir bei meinem nächsten Besuch besprechen."
"Grazie, Alfonso, du erweckst Hoffnung in mir."
Darauf lockerte sich die Unterhaltung wieder, wobei sich Leonardo bald nicht mehr zurückhielt, Lucia in Worten und Taten diese und jene Liebenswürdigkeit zu erweisen. Alphonse, irritiert darüber, fragte sich, ob Leonardo etwa mehr als Sympathie für den adretten Lukas empfinde. Doch er sorgte sich nicht weiter darum, da er davon ausging, dass Leonardo seinen Garzoni niemals zu nahe treten würde.
Alphonse ließ es nicht zu spät werden, noch ehe die Dämmerung in Finsternis überging, erhob er sich zum Gehen. "Grazie für diesen Abend", sagte er Leonardo dann beim Verabschieden, "ich habe lang nicht mehr ein solch gehaltvolles Gespräch geführt."
"Das kann ich nur zurückgeben."
Aufgeregt saß Lucia in ihrem neuen indigofarbenen Reiseanzug am Frühstückstisch, und ihre Tischgenossen begeisterten sich über ihre reizvolle Aufmachung: "Wie der junge Frühling siehst du darin aus." "Si, er wird allen Jungfern den Kopf verdrehen." "Eigentlich Leichtsinn, Lukas so ziehen zu lassen, nachher entführt ihn uns noch eine liebestolle Sylphe aus der Kutsche."
Nur Carlo äußerte nichts, dafür konnte er seine Augen nicht von ihr wenden.
Im Hofgarten verabschiedete sich Lucia dann von jedem, und gleich drauf hörten sie die Droschke vor dem Palazzo anhalten. Lucia wollte nach ihrer Reisetasche greifen, doch Leonardo war flinker, nahm sie zur Hand und trug sie ihr den Weg hinab bis zur Straße, wo sie dann Alphonse begrüßten.
Während Alphonse anschließend dafür sorgte, dass der Kutscher Lucias Tasche ordentlich in den Gepäckraum verstaute, reichte Leonardo Lucia wortlos beide Hände entgegen. Sie legte, ebenfalls schweigend, ihre hinein. 'Viel Erfolg', drückte Leonardos Blick aus, aber auch, 'es tut mir weh, dass du abreist.' Alles nur einen kurzen Moment lang, dann lösten sie sich wieder voneinander. Lucia stieg in die Droschke und Leonardo schritt langsam zurück in seine Bottega.
Kapitel 6 • Ab Sommer 1491
Der Stadtplan von Imola
Lucia, nun im Damenrock, lächelte beglückt über das Südtiroler Flair und auch über die heimatlichen Laute, die hier wieder an ihr Ohr drangen.
"De Belleville", hatte ihre Wirtin vorhin mit großen Augen aufgemerkt, worauf Alphonse ihr seinen Ausweis gereicht und die Wirtin respektvoll hervorgebracht hatte: "Hobe die Ehre! Und die Herrschoften woins bäde Änzelzimmer, jeder säne ägne Stubn?"
"Ganz recht."
"Jo mä hoit."
Sie hielt Lucia und Alphonse für ein Ehepaar. Alphonse hatte den Gasthof Bruegel gewählt, der auf einer Anhöhe nahe bei Meran lag, genau gegenüber des sich nördlich der Stadt erhebenden Bellwillhügels.
Lucia begrüßte es, hier unerkannt zu sein, was sich spätestens morgen, wenn sie in der Stadt den Advokaten ihres Vaters aufsuchen, ändern wird. Noch aber
Weitere Kostenlose Bücher