Hexenkuss
seine Mutter war. Er hätte sie nur zu gern direkt danach gefragt, aber dies waren sehr gefährliche Zeiten. Sie war schon ein großes Risiko eingegangen, indem sie Kontakt zu Kari aufgenommen hatte, und sie wich seinen Versuchen, mehr über sie zu erfahren, so geschickt und entschlossen aus wie eine Katze, die einen Hund abschüttelt. Also ging er seinerseits Risiken ein, berichtete ihr alles, was er wusste, und schließlich sagte sie ihm zumindest dies:
Circle Lady: Die Mädchen, von denen du schreibst, sind in großer Gefahr, und könnten beim nächsten Vollmond den Tod finden.
Also trug er diese Information zu seinem Zirkel und besprach sie auch mit Dan.
Unter Dans Führung, allein in der Schwitzhütte, sah Jer einen Teil der Geschichte seiner Familie, den sein Vater für sich behalten hatte, und er war zutiefst erschüttert.
Schloss Deveraux ragte brütend über der Landschaft auf, prachtvoll und schreckenerregend, dunkel wie ein Rabe und so seelenlos wie ein Dämon. Es breitete sich geduckt am Boden aus, seine Eingeweide reichten bis tief in die Erde, und nur die angezogenen Schultern drückten sich dem Himmel entgegen. Die ängstliche Dorfbevölkerung betrachtete es als die Verkörperung des Bösen, die Wohnstatt des Teufels selbst. Doch wurde von solchen Dingen nicht geflüstert, nicht einmal zwischen Mann und Frau, wenn sie in kalten Nächten dicht beim Feuer saßen und dem Wind lauschten, der draußen heulte. Und zu Mittag, wenn seltsame Schatten über den Zinnen des Schlosses tanzten, bekreuzigten sie sich nur stumm und gingen eilig ihren Geschäften nach, die Lippen vor Angst fest zusammengepresst.
Ob das Schloss von den Menschen, die darin lebten, verdorben worden war oder die Menschen von dem Bösen, das in den Mauern selbst lauerte, vermochte niemand zu sagen. Der Ursprung der Familie Deveraux wie auch ihrer Burg war unbekannt, denn beide reichten über viele Generationen zurück und verloren sich im Nebel der Zeiten. Der älteste noch lebende Mann im Dorf, der alte Hufschmied, konnte sich nur vage an Geschichten erinnern, die er von frühester Kindheit an gehört hatte - vor über siebzig Sommern. Nun war er blind und nutzlos und lebte ganz in seinem Geist, während er darauf wartete, dass sein Körper starb, und sich an die Dinge zu erinnern versuchte, die er über das Schloss gehört hatte. Sein großer Bruder hatte sie ihm zugeflüstert.
Am nächsten Morgen hatten sie den älteren Jungen tot aufgefunden, von Wölfen zerrissen, die ihn im Schlaf aus seinem Bett gezerrt und seinen Leichnam am Waldrand hatten liegen lassen. Zwei verschiedene Geschichten hatte der alte Mann in jener Nacht vor so vielen Jahren gehört. Die eine lautete, der Teufel habe das Schloss aus Erde und seinem eigenen Blut geschaffen, es auf den mächtigen Hügel gestellt und seine Auserwählten dareingesetzt. Die andere Geschichte hatte dem alten Mann sogar noch mehr Angst eingejagt, doch nun konnte er sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.
Die Mauern waren dick, aus dunklem Stein erbaut, der das Licht der Sonne nicht reflektierte, sondern in die Dunkelheit hineinsog. Dennoch war es aus großer Entfernung zu sehen - ein abscheulicher Anblick. In einem fernen Kloster hatte man früher aus einem Fenster der Kapelle freien Blick darauf gehabt. So manchen Priester, ob jung oder alt, hatte es geschaudert, wenn er auf das ferne Schloss geblickt hatte statt auf die Statue der Jungfrau, zu der er gerade betete.
Die Deveraux waren wohlhabend und hatten die besten Verbindungen - weit mehr Einfluss als bescheidene Priester. Dennoch fiel es ihnen schwer, das Böse zu ignorieren, das für sie beinahe greifbar aus den Mauern des Schlosses hervorsickerte, oder ihre Ohren vor den merkwürdigen Geräuschen zu verschließen, die manchmal des Nachts zu hören waren, wenn kein gottesfürchtiger Mensch mehr wach sein sollte. Irgendwann einmal musste das angesprochen werden, und so kam es auch. Der Bischof hörte mitfühlend zu, beruhigte die Gemüter und kam auf eine Lösung. Kaum zwei Wochen später zierte ein wunderschönes Buntglasfenster die bescheidene Kapelle - eine Barriere zwischen den guten Priestern und dem Bösen auf Schloss Deveraux. Und die frommen Mönche wunderten sich zwar, waren aber doch ein wenig beruhigt und ausgesprochen dankbar. Schließlich ahnten sie nicht, dass das Geld für dieses Fenster aus eben jenem Schloss gekommen war, dessen Anblick es verschleiern sollte.
Das Leben der Mönche ging weiter, und
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