Hexenkuss
dank des Fensters fühlten sie sich viel sicherer. Seine leuchtenden Rot- und Grüntöne beruhigten und beschützten sie. Die Farben schirmten sie von der Außenwelt ab und hielten sie und all ihr Wissen, all ihren Glauben, sicher im Kloster eingeschlossen. Und in einer dunklen Herbstnacht, während sie die Mitternachtsmesse feierten, verhinderte das Fenster mit seinen strahlenden Farben, dass die Mönche die Flammen sahen, die Schloss Deveraux verschlangen.
Doch sie wussten, dass es brannte. Frauen, Kinder und viele Bewaffnete der Deveraux - die Priester wussten, dass sie alle in jener Nacht sterben würden, durch die Hände der Cahors.
Sie beteten inbrünstig für deren Sieg. Sie beteten zu Gott darum, dass die Deveraux endgültig ausgelöscht wurden.
Und dann, so die Heilige Jungfrau wollte, würde die Kirche sich der Cahors annehmen und auch ihnen Flammen zu schmecken geben - die Flammen des Scheiterhaufens und eine Ewigkeit in der Hölle für ihre Hexerei.
Alles schlief auf dem Schloss oder hätte zumindest schlafen sollen. In den Stallungen wieherte ein Pferd schrill auf vor Schreck über einen Dämon, den nur das Tier allein sehen konnte. Ein müder Knecht erhob sich von seinem Lager, um das Tier zu beruhigen. Sein Sohn, ein Junge von fünf Jahren, blickte mit schläfrigen Augen zu ihm auf. Das Kind hatte sich der Wärme wegen an einen Pferdebauch gekuschelt, und die Schulter des ruhenden Tieres hatte seinem Köpfchen als Kissen gedient. Auch dieses Pferd hob den Kopf und zuckte unruhig mit den Ohren.
»Legt euch wieder schlafen«, wies Pierre den Jungen und das Tier an. Beide ließen den Kopf wieder sinken und schlossen die Augen.
Der Knecht arbeitete schon in den Stallungen, seit er so alt gewesen war wie sein Sohn. Seit zehn Jahren war er der oberste Stallknecht, und nichts, was die Tiere taten, konnte ihn mehr überraschen. Und das galt auch für seine Herren. Er hatte im Lauf der vielen Jahre Dinge gehört und gesehen, die einen ängstlicheren Mann in die Flucht geschlagen hätten. Doch er war stolz auf seinen Mut und seine Loyalität. Sein Posten war eine gute Stellung, die er behalten konnte, ebenso wie sein Leben, wenn er nur den Mund hielt. Eine lose Zunge hatte ihm diese Stellung verschafft - die lose Zunge des vorherigen Stallmeisters. Der Mann hatte zu viel geredet, und als sie ihn tot aufgefunden hatten, von den Pferden zertrampelt, da hatte Pierre sich geschworen, niemals denselben Fehler zu begehen.
Langsam ging er die Stallgasse entlang, leise genug, um die schlafenden Pferde nicht zu wecken, und laut genug, um diejenigen nicht zu erschrecken, die noch wach waren. Vor Thunders Verschlag blieb er stehen. Der große Hengst war immer schreckhaft, und Pierre glaubte, er sei es gewesen, der solchen Lärm gemacht hatte. Doch das Pferd schlief tief und fest und schnarchte leise.
Da erklang das angstvolle Wiehern erneut. Es kam aus dem letzten Verschlag, und Pierre spürte, wie sich ihm die Härchen im Nacken sträubten, als er auf den dunklen Kopf des Wallachs Philippe zuging. Die Augen des Pferdes waren weit aufgerissen, und er warf den Kopf hoch, als Pierre versuchte, ihm eine Hand auf die Nase zu legen. Philippe war das sanftmütigste Pferd im Stall, das sicherste und ruhigste, und Pierre hatte schon immer geschworen, dass Philippe Dinge sehen konnte, die Menschen nicht sahen.
Doch statt sich von seiner Gegenwart beruhigen zu lassen, geriet Philippe noch mehr außer sich, er schlug gegen die hölzernen Wände aus, und vor Angst trat ihm ein wenig Schaum vors Maul. Pierre spürte, wie ihm die Galle hochkam, als die Angst des Pferdes sich auf ihn übertrug. Irgendetwas Grauenhaftes ging hier vor. Er hörte etwas hinter sich, das noch nicht ganz ein Laut war, sondern eher ein Gefühl, ein Gedanke, der seinen Geist kitzelte.
Er drehte sich um und versuchte, genug Luft für einen ersticken Schrei zu bekommen.
Und während er röchelnd und sterbend im Stroh lag, blickte die Gemahlin des jungen Jean, die Fürstin Isabeau, mitleidig auf ihn hinab. Dann winkte sie einen jungen Mann in silberner und schwarzer Kettenrüstung herbei und sagte zu dem Meuchler der Cahors: »Geht mit dem Segen der Herrin«, und das Massaker begann.
»Schwarzes Feuer«, japste Jer, und sein Coven lauschte. »Sie haben es getan, weil wir das Schwarze Feuer nicht mit ihnen teilen wollten... Alle dachten, das Geheimnis sei mit dem Tode Jeans verloren gegangen... mit meinem Tod ... doch ich bin nicht gestorben... Ich bin
Weitere Kostenlose Bücher