Hexennacht
Es war prächtig ausgestattet, doch nicht so verschwenderisch wie ihres in Ranke. Als sie auf einem Beistelltischchen eine Weinkanne und zierliche Kelche entdeckte, ging sie darauf zu und schenkte sich ein, ohne auf die Beysa zu achten oder ihr ebenfalls einen Kelch zu füllen. Sie nippte. Es war sehr süßer Likör von ihr unbekanntem Geschmack. Sie fragte sich, ob die Fremde ihn aus ihrem eigenen Land mitgebracht hatte.
»Ihr seid eine sehr unhöfliche junge Frau«, tadelte sie ihre Gastgeberin.
»Ihr ebenfalls«, entgegnete Chenaya über den Rand ihres Glases hinweg und fügte wider besseres Wissen hinzu: »Nur daß Ihr nicht so jung seid!«
Die Beysa runzelte die Stirn, ihre zierliche Faust schlug auf die Sessellehne. »Nun gut, dann muß ich es Euch direkt sagen.« Mit finsterem Gesicht stand sie auf und streckte den Zeigefinger aus. »Kommt nie wieder hierher! Und laßt Kadakithis in Ruhe! Ich will nicht noch deutlicher werden!«
Eine solche Aufforderung hatte Chenaya nicht erwartet, fast hätte sie den Kelch fallen lassen. Ihr kalter Grimm verging, und sie kehrte, mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen, in die Mitte des Gemachs zurück. Dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen und lachte laut.
»Verdammt! Beim hellen Licht der Götter, Ihr seid in meinen kleinen Prinzen verliebt!«
Die Beysa erstarrte. »Kadakithis liebt mich! Das spüre ich, auch wenn er es nicht sagt. Wenige Tage, nachdem unsere Blicke sich zum erstenmal begegneten, schickte er seine Gemahlin fort und alle seine Konkubinen.«
Chenaya zog die Brauen zusammen. Sie hatte Kadakithis’ Gattin nicht sonderlich gemocht. Das zerbrechliche Geschöpf hatte für ihren Geschmack viel zu viel gejammert. Aber ihr Vetter war ihr sichtlich zugetan gewesen. »Seine Gemahlin fortgeschickt? Wohin?«
»Woher sollte ich das wissen?« antwortete die Beysa spöttisch. »Habt Ihr mich nicht soeben daran erinnert, daß rankanische Angelegenheiten nur Rankaner angehen?«
Chenaya musterte erneut diese fremdartigen braunen Augen, das dünne helle Haar, das bis über die Hüften hing, die zarten Hände und die elfenbeinfarbene Haut. Die Beysa war vermutlich nur ein wenig älter als sie, und doch wirkte sie wesentlich reifer. »Hübsch genug seid Ihr«, gestand sie widerwillig ein. »Aber vielleicht habt Ihr den Prinzen dank der Laune eines Gottes verhext?«
»Doch mein ist die Schönheit des Mondes, während Ihr wie die Sonne strahlt«, antwortete die Beysa rauh. Was ein Kompliment hätte sein können, klang wie eine Beleidigung. »Ich kenne die Männer, Rankanerin, und die Versuchung!«
Überrascht beruhigte Chenaya sie: »Ihr habt keinen Grund zur Eifersucht. Der Prinz ist mein Vetter.«
Doch die fischäugige Frau war nicht zu beruhigen. Kalt entgegnete sie: »Blutsverwandtschaft ist kein Hindernis für Leidenschaft. In vielen Landen duldet man eine solche Beziehung nicht nur, sondern ermutigt sie sogar. Ich kenne Eure Sitten nicht - noch nicht. Aber je dünner das Blut, desto leichter fällt die Leidenschaft. Ihr mögt ja Vetter und Kusine sein, doch sollten wir ihn lieber nicht in Versuchung führen - oder Ihr bekommt es mit mir zu tun!«
Chenaya ballte die Fäuste, tiefes Rot stieg ihr in die Wangen . »Auf rankanischem Boden komme und gehe ich, wie es mir gefällt«, erklärte sie bedrohlich leise und kam näher, bis nur noch eine Armlänge sie von der Fremden trennte. Dann kippte sie den Kelch und schüttete den Rest Likör auf den Boden zwischen ihnen. Dick, zähflüssig und rot wie Blut hob er sich von den weißen Marmorfliesen ab. »Und niemand erteilt mir Befehle!« Ihre Finger schlossen sich fester um den goldenen Kelch. Das Metall gab nach und verformte sich, als sie ihn ohne sichtliche Anstrengung zusammendrückte. Dann ließ sie ihn auf den Boden fallen. Sie bemühte sich nun nicht mehr, ihre Wut zu unterdrücken - sie machte ihr mit Worten Luft. »Nun verstehst du mich wohl, du hochgeborene Schlampe! Du bildest dir ein, daß du jetzt hier das Sagen hast. Doch das beeindruckt mich nicht im geringsten! Wenn Kadakithis Verlangen nach bemalten Titten hat, ist das natürlich allein eure Sache.« Sie hob einen Finger, und ein drohendes Lächeln spielte über ihre Lippen. »Aber wenn ich herausfinde, daß ihm deine Anwesenheit oder deine Selbstherrlichkeit nicht gefällt, wenn er mit deinem Bleiben in seiner Stadt nicht einverstanden ist, dann schwöre ich bei meinen rankanischen Göttern, daß ich dich mir angle, dir die Schuppen abziehe
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