Hexennacht
Immer wieder packte sie das Bedürfnis, die Teller zu nehmen und davonzurennen. Aber wohin hätte sie laufen können? Das Gold gehörte ihr, das Haus gehörte ihr; es war ein viel zu großer Besitz, nun konnte sie überhaupt nicht mehr fortlaufen, und das erfüllte ihr Herz mit Panik. Das Gesicht ihres Bruders im Kerzenschein war eine andere Art von Traum: Einen Augenblick lang schien es ihr vertraut, im nächsten, wenn er es drehte oder das Licht ungünstig auf seine Narben fiel, ergriff sie erneut Panik. Sie sah nur wieder etwas, das sie geliebt hatte und das sie wie ein Alptraum gefangenhielt.
Ein Teil ihres Ichs wollte schreiend und nackt aus diesem Haus laufen.
»Herrin.« Ein Diener schenkte strohfarbenen Wein in ihren Kelch; sein Lächeln entblößte mehrere Zahnlücken. Seine Livree war aus feinstem Linnen und mit Brokat verziert, wenngleich durch Unachtsamkeit etwas zerknittert, aber die Zahnlücken, die gebrochene Nase, die Stimme mit dem Abwindnäseln, alles machte deutlich: Bettler und Diebe bedienten sie. Sie waren sauber und ohne Ungeziefer - darauf bestand sie; doch ansonsten hatte sie keine Autorität über sie. Allerdings taten sie ihre Arbeit und stahlen nichts.
Die BESITZERIN sorgte dafür.
Jemand schrie auf der Treppe und lachte ordinär. Mor-am sprang auf und brüllte auf eine Weise, wie man sie nur in Abwind verstand.
Morias Herz verkrampfte sich. »Hinaus!« befahl sie dem Diener und rief erneut, als er auf seine beschränkte Weise zögerte: » Hinaus! Dummkopf!«
Endlich begriff der Diener und hastete aus der Halle, während Mor-am sich wieder auf seinen Stuhl setzte und nach seinem Weinkelch griff. Seine Hand zitterte, und sein nervöses Zucken machte sich wieder am Mundwinkel bemerkbar, wo Narben von Brandwunden ihn entstellten. Strohfarbiger Wein schwappte über. Er machte ein finsteres Gesicht, nachdem er getrunken hatte, doch das Zucken ließ nach. »Sie lernen es nie«, sagte er schmollend wie ein Kind.
Ein Bettler bewachte draußen das Haus. Er war immer da in seinen schmutzigen Lumpen; und Mor-am hatte Alpträume, wachte jede Nacht schreiend auf. »Lernen es nie«, wiederholte er und goß sich Wein nach. So sehr zitterte seine narbige Hand, daß die Flasche gegen den Kelchrand klapperte.
»Tu’s nicht!«
»Tu was nicht?« Er stellte die Flasche auf den Tisch und hob den Kelch. Eine kleine Weinlache hatte sich auf dem Tisch gebildet.
»Ich ging heute hinaus.« Moria bemühte sich verzweifelt, das Schweigen zu brechen; dieses Schweigen langer Stunden, die sie in diesem Haus gefangen waren. »Ich habe einen Schinken gekauft, ein paar Datteln ... Shiey sagt, sie weiß, wie man Schinken mit Honig zubereiten kann .«
»Haben keine verdammte Köchin; ein großes Haus und eine einhändige Diebin, die kocht .«
»Shiey war Köchin!«
»Wenn sie das eine oder das andere richtig getan hätte, würde sie noch ihre rechte Hand haben! Wo hat SIE das Schwein her?«
»Psst!« Moria zuckte zusammen und blickte zur Treppe. Sie lauschten , sie wußte, daß sie lauschten - jeder Diener im Haus und der Bettler am Tor. »Um Ils’ willen, sei still!«
»Ah, ist es jetzt Ils? Glaubst du, das hilft uns?«
»Sei still!«
»Warum läufst du nicht davon? Warum verschwindest du nicht? Du .«
In der Halle öffnete sich eine Tür. Sie - schwang einfach auf, und die Kerzen flackerten im Luftzug.
»Ihr Götter!« hauchte Moria und drehte ihren Stuhl, daß die Holzbeine auf dem Steinboden scharrten. Ein umgestoßener Kelch fiel klirrend auf den Boden und rollte davon.
Aber es war Haught , der an der Eingangstür stand, nicht SIE; nur Haugh stand da, mit dem sanften Rehblick und dem vertrauten Zug um den wohlgeformten Mund, der vage Befriedigung verriet: die Befriedigung eines schelmischen Kindes, das sich freute, weil es sie erschreckt hatte. Moria hoffte, daß es nur Schalk war, nichts anderes. Die Tür schloß sich. Kein Diener befand sich in der Nähe.
»Neuer T-trick«, stotterte Mor-am. Seine Mundwinkel zuckten wieder. Der Kelch lag auf dem Boden zwischen ihnen in einer Lache strohfarbenen Weins.
»Ich kenne ein paar.« Haught trat an das Tischchen neben der Tür, wo die Kelche standen. Er war gut gekleidet, genau wie sie: Er trug einen rostfarbenen Kittel, einen schwarzen Umhang, weiche Stiefel und ein Schwert wie ein feiner Herr. Er brachte einen Kelch zum Tisch, und wispernd floß Wein in den goldenen Kelch. Er hob ihn an die Lippen und trank.
»Und?« brummte Mor-am. »Spazierst du
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