Hexennacht
die zwei Klingen ab und zwang sie zur Seite. Einem entglitt der Griff. Als er nach seiner Waffe tauchte, schmetterte sie ihm ihr Knie ins Gesicht.
Als der letzte feststellte, daß er als einziger noch stand, zögerte er, dann floh er zum Tor und auf die Straße hinaus. Chenaya verfluchte ihn wild, riß den zweiten Dolch aus der Hülle an ihrem Schenkel und warf. Die Arme des Feiglings flogen hoch, sein Schwert landete klappernd auf dem Boden, und er stürzte. Eine Hand zuckte, als wolle sie nach der Waffe greifen, dann lag er reglos da.
Zu ihren Füßen erhob sich einer der Männer schwerfällig. Blut quoll aus seiner gebrochenen Nase, die Augen wirkten glasig, aber er holte mit dem Schwert, das er kaum zu halten vermochte, nach ihr aus.
»Du zumindest bist keine Memme«, lobte sie. Ihre Schwertschneide zog einen raschen roten Strich unter seinem Kinn, und er stürzte rückwärts.
Chenaya holte tief Luft und pfiff nach Reyk. Gemeinsam blickten Frau und Falke hinab auf die sechs Leichen. Enttäuscht stellte sie fest, daß sie nicht die Uniform des 3. Kommandos trugen. Mit einem solchen Beweis wäre es leichtgefallen, die ganze Meute zu hängen oder zumindest aus Freistatt zu jagen.
»Das habt Ihr gut gemacht, Lady von Ranke.«
Chenaya erkannte die Stimme und wirbelte herum. Shupansea und etwa zwanzig beysibische Wachen standen am Palasteingang. Offenbar waren sie während des Kampfes herausgekommen. Eine Fackel begann aufzuleuchten, dann eine zweite.
»Schaut nicht so erstaunt drein.« Shupansea lächelte. Sie deutete auf die Leiche des Vermummten. »Dieser Mann ist am Morgen mit dem Gesinde aus der Stadt durch das Tor gekommen, jedoch am Abend nicht mit ihnen zurückgekehrt. Meine Männer bemerkten, daß er sich in den Stallungen versteckte, aber wir warteten ab, um festzustellen, was er vorhatte.«
Chenaya schwieg und behielt das Schwert in der Hand, da sie nicht wußte, was die Beysa mit ihr beabsichtigte.
»Molin erklärte uns Euer Vorhaben, Lady«, sagte Shupansea beruhigend. »Ihr habt nichts zu befürchten.«
Chenaya verzog das Gesicht. »Mein Onkel sollte sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern!«
Die Beysa zuckte die Schultern. »Vielleicht könnt Ihr von Natur aus nur unhöflich sein.« Sie seufzte. »Aber möglicherweise ändert sich das, wenn wir uns besser kennen. Kadakithis sagte mir, daß er Euch einen Ball versprochen hat. In einer Woche werde ich ein Fest geben, um Euch und Lowan Vigeles mit allen Ehren in unserer Stadt willkommen zu heißen.«
Chenaya zwang sich zu einem Lächeln, dann kniete sie sich neben einen der Meuchler, um ihre Klinge an seinem Wams zu säubern. Als sie ihr Schwert eingesteckt und sich wieder erhoben hatte, sagte sie: »Selbstverständlich werden mein Vater und ich die Einladung des Prinzen annehmen.« Sie streichelte Reyk. »Ich liebe Tanzbälle!«
Die Augen der beiden Frauen trafen sich und verrieten Mißtrauen und Feindseligkeit. Doch diese Nacht gehörte Chenaya. Shupansea mochte zwar auf den beabsichtigten Anschlag auf den Prinzen aufmerksam geworden sein, doch sie, eine Rankanerin, hatte ihn verhindert. Die fischäugigen Krieger der Beysa waren nicht mehr als Zuschauer gewesen, die ihre Geschicklichkeit hatten bewundern können.
»Meinen Dank, auch im Namen Eures Vetters, daß Ihr Euch so für ihn eingesetzt habt«, sagte Shupansea gestelzt. Sie winkte, und einige ihrer Wachen machten sich daran, die Leichen wegzuschaffen. »Es dürfte etwas spät sein, sich Besuchern zu widmen, meint Ihr nicht auch? Ich glaube, Ihr findet selbst hinaus.« Die Beysa drehte sich um und kehrte in den Palast zurück.
»Behaltet die Kletterhaken«, sagte Chenaya leichthin zu den Wachen, als sie zu dem kleinen Tor ging. »Ich brauche sie nicht mehr.«
Originaltitel: Daughter of the Sun
Copyright © 1984 by Robin W. Bailey
Deutsch von Lore Straß
Mor-am & Moria
Die Stunde der Hexen
C. J. Cherryh
Das Gemach war aus edlem Holz und Flußstein, es hatte schwere Brokatvorhänge, und seine Tür führte zur Eingangshalle mit der geschwungenen Treppe. Flammen züngelten in der marmornen Feuerstelle sowie an den Dochten der weißen Wachskerzen und spiegelten sich auf den goldenen Kelchen und den Zinntellern. Moria, die in ihrer Halle speiste, bedachte alles mit einem mißtrauischen Blick, auch ihren Bruder, der am Ende ihrer langen Tafel saß - denn nichts in Morias Leben blieb von Dauer. Das Gold war ein Traum, in dem sie sich bewegte und lebte. Welch Ironie für eine Diebin:
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