Hexensabbat
tat: Wasser aufsetzen, Kaffeepulver in die Filtertüte und Brot in den Brotkorb, Butter und Wurst aus dem Kühlschrank nehmen, zwei Sets und zwei Gedecke auflegen, es war wie jeden Morgen. Sie dachte an die kleine Szene eben im Bad. An das Gerede über sein Pünktlichsein. Es schien ihr so, als ob Till seinen Job seit neuestem besonders in den Mittelpunkt rückte. Seine Pflichten und seinen Streß und seinen Erfolg. Mit seinen einundvierzig Jahren war Till ein Erfolgsmann. Nur neun Prozent aller Haushalte erzielten ein Monatseinkommen von achttausend Mark und mehr, Till hatte es ihr aus einem Wirtschaftsmagazin vorgelesen. Anna und Till Liebold zählten zu denen, die über den achttausend lagen. Es war Tills Einkommen, er war Alleinverdiener. Bis jetzt, dachte sie.
Anna war fünfunddreißig. Sie hatte studiert. Zuerst Kunst, dann Theaterwissenschaften, dazwischen lagen ein paar kleine Jobs, Jura kam zuletzt. Niemand hatte ihr Studium mehr so richtig ernst genommen, auch Till nicht. »Meine Frau macht in Kultur«, sagte er gern. Es war seine Standardantwort, wenn einer nach dem Beruf Annas fragte oder ob sie Kinder hätten. Annas Jurastudium erwähnte Till nicht besonders, so als fiele das ebenfalls unter »meine Frau macht in Kultur«. Da schwieg Anna auch.
Die Eieruhr piepte. Anna nahm Tills Vier-Minuten-Ei mit einem Löffel aus dem Stieltopf und ließ kaltes Wasser darüber laufen. Das Ei für sie simmerte noch zwei Minuten länger, sie ekelte sich vor dem Glibber von halbrohen Eiern, wie Till sie mochte. Der Wasserstrahl platschte auf die Eischale. In Gedanken hatte sie das Bild von Tills Gesicht vor sich. Allein das Gesicht, das er machte, als sie es ihm sagte – »Ich bin durch« – »Wo durch?« – »Durchs Examen natürlich« – »Durchgefallen?« – »Nein. Durchgekommen!« – allein das war die Paukerei wert gewesen. Sein Gesicht war eine Offenbarung. Ungläubig. Bestürzt. Er hatte es ihr nicht zugetraut. Anna grinste. Es setzte ihm zu. Immer noch. Und gleichzeitig war er auch stolz auf sie.
»Was ist so witzig am Eierkochen?« Till griff über Annas Schulter und drehte den Wasserhahn zu. Anna wartete auf den Spruch über die Umwelt und die Wasserrechnung. Es kam nichts, seine Pantoletten platschten über den Dielenboden hinaus ins Treppenhaus, er holte sich die Zeitung aus dem Briefkasten. Dann setzte er sich an den Tisch. Er war schon fertig angezogen, bis auf die nackten Füße in den Hausschuhen. Es sah lächerlich aus zu dem Oberhemd und den Hosen mit der akkuraten Bügelfalte. Anna trug noch ihren Bademantel.
Sie schenkte den Kaffee ein. Er griff nach seiner Tasse, ohne von dem Zeitungsblatt aufzusehen. Er redete erst wieder, als er sein Ei köpfte. »Das ist ja eiskalt«, sagte er. Anna zuckte nur die Schultern und schnappte sich den Kulturteil, den Till auf den Tisch gelegt hatte; er las immer zuerst die Politik. Anna nahm gewöhnlich den Kulturteil, trotzdem verspürte sie plötzlich Lust, ihm den Aufmacher, den er las, aus der Hand zu nehmen. Immer, wenn er nach der Kaffeetasse langte, senkte sich die Zeitung kurz und gab die Überschrift frei. Er blätterte um. Auf Seite zwei folgte der Kommentar. Den las er als nächstes. Immer.
»Eine Katastrophe«, sagte er. »Hör dir das an!« Till schob die Zeitung auf ihren Frühstücksteller zu. »Verwendung der Bundeswehr auch im Landesinneren«, las er vor. Er las oft laut aus der Zeitung vor. Seine Stimme vibrierte. Er war strikt gegen die Bundeswehr, er hatte nicht gedient. Er hatte sich damals wegen einer chronischen Magenschleimhautentzündung vom Wehrdienst befreien lassen.
»Paß auf! Die Butter«, warnte Anna. Die Zeitung berührte Tills Brot. Das Papier saugte sich voll und glänzte fettig.
»Sonst fällt dir nichts dazu ein?« Till schob den Teller beiseite.
»Ich lese lieber selbst.«
Er warf ihr seinen »Meine-Frau-macht-in-Kultur«-Blick zu. Er biß in sein Brot, die Krumen fielen rechts neben den Teller, genau daneben, so als hätte er es trainiert. Von seinem Set führte eine krümelige Spur auf den Stuhl und von dort auf den Boden. Es war wie immer. Als er fertiggelesen hatte, sah er auf.
»Das ist kein Zustand morgens«, sagte er. »Jeden Morgen blockierst du das Bad. Ab morgen gehe ich zuerst. Du hast Zeit genug.«
»Ach ja?«
»So ist das doch.«
»Und wer macht dir ab morgen dein Frühstück?«
»Nur weil du jetzt ein Examen hast … Juristen gibt es wie Sand am Meer.«
»Mag sein.« Am Ersten würde Anna als
Weitere Kostenlose Bücher