Hexensabbat
gewechselt, immerhin war heute Tills Geburtstag.
»Wir haben reserviert. Liebold«, sagte Till zu dem Kellner, der noch immer abwartend neben ihnen stand. Der sagte zu Anna: »Ich darf vorgehen?« Er führte sie an langen Tischen vorbei, am vierten blieb er stehen. »Bitte sehr, hier ist es.«
Till rückte seiner Frau den Stuhl zurecht. Auf dem Hinweg hatten sie nur gestritten, daran dachte Anna. Sie waren wegen der Tischordnung aneinander geraten. Anna fand es überflüssig, den Gästen einen Platz zuzuweisen, aber Till war dafür gewesen: »Wenn deine Schwester neben meiner Mutter zu sitzen kommt«, hatte er gesagt, »nur zum Beispiel, dann ist der Abend gelaufen.« – »Warum sollte Marie sich ausgerechnet neben deine Mutter setzen?« – »Weil sie ein Aas ist, deshalb!« Till konnte seine Schwägerin nicht leiden, und die konnte ihn nicht leiden und seine Mutter auch nicht. »Prost, du Kacker!« hatte Tills Schwägerin Marie auf seinem Vierzigsten zu ihm gesagt, der Sekt in ihrem Glas schwappte, als sie ihm zuprostete, sie war nicht mehr nüchtern gewesen. Das »Kacker« galt Tills Wut über das von Anna vergessene Roastbeef, Marie konnte das nicht verstehen, sie aß grundsätzlich kein Fleisch. »Deine Schwester kommt mir nicht mehr ins Haus«, hatte Till daraufhin in der Küche zu Anna gesagt, draußen bei den Gästen hatte er noch nicht reagiert, er war nur aufgestanden und hatte die Gläser aufgefüllt, auch die fast vollen, nur das Glas seiner Schwägerin hatte er ausgespart.
»Reg dich ab! Du bist auch nicht ohne«, hatte Anna dort in der Küche erwidert und weiter Ascher ausgeleert und Gläser ausgespült.
»Du bist meine Frau«, Till hatte sie am Arm gerüttelt, obwohl sie gerade eines von den sündhaft teuren Kristallgläsern abtrocknete. Anna hatte Tills Hand abgeschüttelt. »… und außerdem bin ich noch Maries Schwester und ich selbst«, hatte sie seinen Satz fortgeführt, dann war sie mit dem Tablett voll frischer Gläser zurück zu den Gästen gegangen. Sie hatten nicht mehr darüber geredet, bis Till eben von der Tischordnung anfing.
Nun waren sie im Restaurant und wieder friedlich. Anna hatte keine Lust, mit Till zu reden. Sie besah sich die Leute am Tisch gegenüber, sie saßen aufgereiht wie die Reisenden früher, die auf ihren Zug warteten. Die Ordnung der Tische und die dunklen Wandpaneele waren geblieben, das restliche Ambiente war neu: Weiße Tischtücher und jeder Platz eingedeckt für ein Menü mit den passenden Weinen, die Gläser standen Spalier.
»Sieh dir die an.« Anna vergaß, daß sie eigentlich nicht mit Till reden wollte. Die Frau, die sie meinte, war unglaublich dick. Sie kam vom Büffet, man konnte wählen zwischen dem Büffet und »à la carte«. Die Frau trug einen Teller mit drei verschiedenen Desserthäufchen vor sich her. Das, was wie Pudding aussah, schaukelte bei jedem Schritt, genau wie ihr Busen und das schwere Kinn darüber; der restliche Körper verschwand unter weit wallendem Schwarz.
»Sieh weg, wenn es dich stört«, erwiderte Till. Er behielt den Eingang im Auge, er wollte seine Gäste nicht verpassen. »Deine Schwester«, sagte er, und im gleichen Atemzug: »Mein Gott!«
Nun sah auch Anna zum Eingang hinüber. Sie war neugierig, was ihre Schwester Marie diesmal wieder verbrochen hatte. Gelegentlich konnte die sich ziemlich exzentrisch geben. Anna sah ihre Schwester durch den schmalen Gang zwischen den Tischreihen auf sich zukommen. Ich weiß nicht, was du hast, wollte sie schon zu Till sagen. Für ihre Verhältnisse hatte Marie sich heute maßvoll gekleidet, der schwarze Trägerrock unter dem schwarzen Lederblouson war eher unauffällig, sonst trug sie oft Stretchstoffe, die jedes Detail des gutgeformten, aber nicht eben schlanken Körpers abmalten.
»Das ist Marcel«, verkündete Marie in diesem Moment, und nun begriff Anna, was Till mit seinem »Mein Gott!« gemeint hatte. Ihre Schwester, die ledig und ohne festen Freund war, hatte einen Mann mitgebracht. Der war nicht eingeplant, Till hatte für zehn Personen reserviert; er fand es ungehörig, einen Fremden zu dieser Familienfeier mitzubringen, das konnte Anna von seinem Gesicht ablesen.
Till stand auf. »Marcel …?«
Der Fremde nickte. »Hallo!« Er hatte die Hände in die schmalen Hüften gestemmt, er war ein knabenhafter Typ und reichlich jung, jedenfalls deutlich jünger als seine Begleiterin.
»Marcel Picolit«, ergänzte Marie. »Er ist Kameramann, Franzose.« Sie stand hinter dem Mann
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