Hexenstunde
Blüten hat. Ich habe den Gärtnern gesagt, sie sollen das alles nicht anrühren. Es soll wieder sein wildes Aussehen bekommen. Die ordnenden Muster sind im Moment einfach zu dominant. Wenn ich jetzt umhergehe, habe ich das Gefühl, ich trete auf Karos und Rechtecke und Vierecke, und ich will, daß es wieder verwunschen und grün ist, wie der Garden District in meiner Erinnerung stets war.
Es ist mir auch nicht abgeschieden genug. Besonders heute, als die Leute in Scharen durch die Straßen strömten, um zur Paradestrecke auf der St. Charles Avenue zu gehen, um die Rex-Parade vorüberziehen zu sehen oder um einfach in ihren Karnevalskostümen umherzulaufen, da haben mir zuviele den Kopf gedreht und durch den Zaun gegafft. Es sollte alles verborgener sein.
Tatsächlich ist, was eben diese Frage betrifft, heute abend etwas höchst Merkwürdiges passiert.
Aber ich will kurz den Tag Revue passieren lassen, denn es war Mardi Gras, der Tag der Tage.
Die »Fünfhundert Mayfairs« waren schon früh hier, denn die Rex-Parade kommt gegen elf über die St. Charles Avenue. Ryan hatte alles arrangiert; um neun gab es ein großes Frühstücksbüffet, mittags einen Lunch und den ganzen Tag über eine offene Bar mit Kaffee und Tee.
Genauso stellte ich es mir vor, dieses Haus zu führen. Vor allem, wenn Aaron da ist und hilft, und wenn Tante Viv jede Minute von Herzen genießt.
Von der oberen Veranda aus sah ich zu, wie die Kinder zwischen dem Haus und der Avenue hin und her liefen, draußen auf dem Rasen spielten und manchmal sogar schwammen, weil es einfach ein herrlicher Tag war. Ich würde nicht für Geld und gute Worte noch einmal in die Nähe dieses Swimming-pools gehen, aber es macht Spaß, ihnen zuzusehen, wie sie darin herumplanschen. Wirklich.
Es ist wunderbar, zu erkennen, daß das Haus dies alles möglich macht, ob Rowan nun hier ist oder nicht. Ob ich hier bin oder nicht.
Aber gegen fünf, als es langsam ruhiger wurde – ein paar der Kinder waren eingeschlafen, und alles wartete jetzt auf Comus -, da war es plötzlich vorbei mit meiner hübschen, friedlichen Ruhe.
Als ich von meinem Buch aufblickte, sah ich Aaron und Tante Viv vor mir stehen, und noch bevor sie den Mund aufmachten, wußte ich, was sie sagen würden.
Ich sollte etwas anziehen, ich sollte etwas essen, ich sollte zumindest die salzlosen Gerichte probieren, die man so sorgfältig eigens für mich zubereitet hatte. Und ich sollte hinunterkommen.
Und ich sollte wenigstens bis zur Avenue spazieren, um den Comus zu sehen, meinte Tante Viv, die allerletzte Parade am Abend des Mardi Gras.
Als ob ich das nicht wüßte.
Aaron stand die ganze Zeit stumm daneben und sagte gar nichts; dann aber gab er zu bedenken, daß es mir vielleicht gut tun würde, die Parade nach all den Jahren einmal wieder zu sehen und so die Mystik zu vertreiben, die sich darum aufgebaut hatte. Selbstverständlich würde er die ganze Zeit dabei sein.
Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, aber ich sagte ja.
Und so wanderte ich um halb sieben mit Aaron langsam auf die Avenue zu; Tante Viv war mit Bea und Ryan und einer Legion anderer Mayfairs voraus gegangen. Und richtig, da kamen diese Trommeln, diese wilden, diabolischen Kadenzen, die klangen, als begleiteten sie den Karren mit einer verurteilten Hexe zum Scheiterhaufen.
Es war mir von ganzem Herzen zuwider, und ich verabscheute den Anblick der Lichter dort oben, aber ich wußte, daß Aaron recht hatte. Ich sollte es mir ansehen. Außerdem hatte ich nicht wirklich Angst. Abscheu ist eine Sache, Angst eine andere. Wie absolut ruhig war mir in meinem Haß zumute.
Es herrschte kein großes Gedränge, denn der Tag, ja, die ganze Saison ging zu Ende, und es war kein Problem, einen bequemen Stehplatz auf neutralem Boden zu finden, irgendwo in dem niedergetretenen Gras und Abfall dieses Trubeltages. Schließlich lehnte ich, die Hände auf dem Rücken, an einem Leitungsmast der Straßenbahn, als die ersten Prunkwagen in Sicht kamen.
Grausig, so grausig wie in meiner Kindheit rollten diese riesenhaften, im Winde flatternden Pappmachekonstruktionen hoch oben über den Köpfen der jubelnden Zuschauer langsam die Avenue hinunter.
Ich erinnerte mich an meinen Dad, wie er mich ausgeschimpft hatte, als ich sieben war: »Michael, wovor du da Angst hast, das ist nicht echt, weißt du das? Du mußt deine verrückte Angst vor diesen Paraden los werden!« Und er hatte natürlich recht. Ich hatte inzwischen grauenhafte Angst davor; ich war
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