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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sollte er mich für all das nicht auch lieben?
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand und vor mich hin grinste und leise im Dunkeln lachte, aber allmählich wurde ich doch müde. Es genügt, wenn ich eine Zeitlang auf den Beinen bin: Ich werde dann müde.
    Und dann überkam mich eine Trauer, so als sei mir das Herz gebrochen, weil dieses Muster etwas zu bedeuten schien; und ich dachte, vielleicht habe ich mich die ganze Zeit geirrt, und es gibt doch Hexen. Und wir sind alle verdammt.
    Aber das glaube ich nicht.
    Vielleicht kann Aaron in seiner Passivität und seiner dogmatischen Unvoreingenommenheit den Gedanken verfolgen, daß alles geplant war – daß sogar der Tod meines Vaters dazu gehörte und daß es mir bestimmt war, ein Hengst für Rowan und ein Vater für Lasher zu sein. Aber ich akzeptiere das nicht.
    Es ist nicht nur so, daß ich es nicht glauben will. Ich kann es nicht glauben.
    Ich kann es nicht glauben, weil meine Vernunft mir sagt, daß ein solches System, in dem irgend jemand jeden einzelnen unserer Schritte diktiert – ein Gott, ein Teufel, unser Unterbewußtsein oder unsere tyrannischen Gene -, einfach unmöglich ist.
    Das Leben an sich muß auf den unbegrenzten Möglichkeiten der freien Wahl und des Zufalls basieren. Wenn wir nicht beweisen können, daß es so ist, müssen wir es glauben. Wir müssen glauben, daß wir unsere Geschicke verändern, steuern und beeinflussen können.
    Es hätte ja alles anders kommen können. Rowan hätte sich weigern können, diesem Ding zu helfen. Sie hätte es umbringen können. Und vielleicht wird sie es noch umbringen. Und hinter ihren Handlungen liegt vielleicht die tragische Möglichkeit, daß sie es, als es einmal ins Fleisch gekommen war, nicht mehr über sich brachte, es zu vernichten.
    Ich weigere mich, Rowan zu verurteilen. Die Wut, die ich einmal gegen sie empfand, ist vergangen.
    Und ich entscheide mich aus freien Stücken dafür, hier zu bleiben, auf sie zu warten und an sie zu glauben.
    Dieser Glaube an sie ist der erste Satz in meinem Credo. Und ganz gleich, wie gewaltig und verzwickt dieses Netz der Ereignisse mir erscheint, ganz gleich, wie groß seine Ähnlichkeit mit den Mustern aus Steinplatten, Balustraden und endlos wiederkehrenden schmiedeeisernen Schnörkeln ist, die dieses kleine Stückchen Erde hier beherrschen – ich bleibe bei meinem Credo.
    Ich glaube an den Freien Willen, die Allmächtige Kraft, durch die wir uns verhalten, als wären wir die Söhne und Töchter eines gerechten und weisen Gottes, selbst wenn es ein solches Höchstes Wesen nicht gibt. Und durch unseren freien Willen können wir uns entscheiden, auf Erden Gutes zu tun, auch wenn wir alle sterben und nicht wissen, wohin wir gehen oder ob uns Gerechtigkeit oder wenigstens eine Erklärung erwartet.
    Ich glaube, daß es unseren inständigsten Anstrengungen schließlich gelingen wird, den Himmel auf Erden zu erschaffen, und daß wir es jedesmal dann tun, wenn wir lieben, wenn wir umarmen, wenn wir uns entschließen, zu schaffen, statt zu zerstören, wenn wir das Leben über den Tod setzen und das Natürliche über das, was unnatürlich ist, soweit wir in der Lage sind, dies zu definieren.
    Und in letzter Konsequenz glaube ich vermutlich, daß es auch im Angesicht schlimmsten Grauens und furchtbarsten Verlustes Seelenfrieden geben kann. Er ist möglich im Glauben an die Veränderung, den Willen und den Zufall und im Glauben an uns selbst und daran, daß wir im Angesicht von Widrigkeiten in den meisten Fällen das Richtige tun werden.
    Denn unser ist die Kraft und die Herrlichkeit, denn wir sind zu Visionen und Ideen fähig, die letzten Endes stärker und dauerhafter sind als wir selbst.
    Das ist mein Credo. Deshalb glaube ich an meine Interpretation der Geschichte von den Mayfair-Hexen Würde gegen die Philosophen der Talamasca wahrscheinlich nicht bestehen können. Kommt vielleicht nicht mal in die Akte. Aber es ist mein Glaube, was immer das wert sein mag, und es trägt mich. Und wenn ich jetzt sterben müßte, hätte ich keine Angst. Denn ich glaube nicht, daß Grauen oder Chaos auf uns warten.
    Wenn uns überhaupt eine Offenbarung erwartet, dann muß sie so gut sein wie unsere Ideale und unsere beste Philosophie. Denn gewiß muß doch das Sichtbare und das Unsichtbare zur Natur gehören, und auch uns selbst muß sie umfassen. Das, was die Blumen aufgehen und die Schneeflocken fallen läßt, muß eine Weisheit und ein letztes Geheimnis bergen, das ebenso verzwickt und

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