Hexentage
Morgenstunden zu beginnen, hielt ihn das nicht auf, erst am späten Nachmittag aufzubrechen. Er würde zu Peltzer gehen, ihm seinen Entschluß mitteilen und seine Sache packen. Sobald man sein Pferd gesattelt hatte, würde er Osnabrück den Rücken kehren, den Rest des Tages und die ganze Nacht durchreiten und mit ein wenig Glück schon morgen abend Minden erreichen.
Jakob schwang sich aus dem Bett und ging nach unten, um Peltzer seinen Entschluß mitzuteilen. Er fühlte sich unbehaglich. Wie würde der Bürgermeister darauf reagieren, daß er seinen Aufenthalt in der Stadt so abrupt beendete? Gewiß würde Peltzer nicht begeistert davon sein, daß er sein Angebot, einen Hexenprozeß aus der Nähe zu verfolgen, in den Wind schlug. Doch Jakob war fest entschlossen, sich nicht umstimmen zu lassen. In einer Stunde würde er bereits auf seinem Pferd sitzen und die Stadt aus der Ferne betrachten.
Johanna, eine junge Magd, die Jakob seit seinem Einzug in dieses Haus eine kindliche Schwärmerei entgegenbrachte, kam ihm entgegen und griente verlegen, als er sie ansprach. Auf seine Frage, ob Peltzer noch im Haus anzutreffen sei, gab Johanna ihm zur Antwort, daß der Bürgermeister sich in seinem Arbeitszimmer |162| aufhalte. Ohne lange zu zögern, klopfte Jakob an dessen Tür und öffnete sie. Peltzer war nicht allein. Ein Bursche mit rotem Haar und zerknitterter Kleidung stand neben dem Bürgermeister und redete aufgeregt auf ihn ein.
»… man schikaniert mich, nennt mich einen tumben Idioten, mein eigener Vetter …«
Peltzer bemerkte Jakob und brachte seinen Gast mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Einen Moment, Jakob. Wartet bitte draußen«, erklärte der Bürgermeister streng.
Jakob schloß die Tür und ärgerte sich darüber, daß er Peltzer nicht ohne jede Verzögerung seinen Entschluß mitteilen konnte. Je länger er darüber nachdachte, desto schwieriger und komplizierter wurde es für ihn, an den richtigen Worte zu feilen.
Die Magd Johanna trug einen Kübel Seifenwasser an ihm vorbei: »Verzeiht mir, ich habe vergessen, Euch zu sagen, daß sich der Herr Vortkamp noch beim Herrn Peltzer aufhält.«
»Vortkamp?« Jakob stutzte. »Rutger Vortkamp?«
Das Mädchen nickte und trat schnell weiter, scheinbar in Sorge, er könnte ihr dieses Ungeschick übel nehmen.
Rutger Vortkamp! War es ein Wink des Schicksals, daß Jakob genau in dem Moment, als er dem Bürgermeister seinen Abschied mitteilen wollte, dem Mann begegnete, der den Prozeß gegen Anna Ameldung ins Rollen gebracht hatte?
Vielleicht, so überlegte er sich, würde das Gespräch mit Peltzer noch einen kurzen Aufschub dulden. Seine Neugierde war geweckt, und daher verließ er das Haus des Bürgermeisters, verbarg sich hinter einen Baum in der Nähe und behielt den Eingang im Auge. Es dauerte nicht lang, bis Vortkamp von Peltzer zur Tür geleitet und verabschiedet wurde. Jakob folgte dem Mann so unverfänglich wie möglich.
»Rutger Vortkamp«, rief er ihm dann zu, als sie sich ein paar Schritte vom Haus des Bürgermeisters entfernt hatten. Vortkamp |163| blieb stehen und wandte sich um. Erst da fiel Jakob auf, wie unvorteilhaft der Bursche gekleidet war. Gewiß, seine Beinkleider, das Wams und das Rüschenhemd waren aus Stoffen gefertigt, die ein Mann aus der Bürgerschaft kaum bezahlen konnte, aber an Vortkamp wirkte dieser Luxus plump und unangebracht. Auch die breite goldene Schärpe um seinen Bauch, die rosaroten Bänder an seinem Kragen und vor allem der zu kleine Hut mit den riesigen Federn vermittelte den Eindruck einer verfehlten Großspurigkeit.
»Der bin ich«, erwiderte Vortkamp und bedachte Jakob mit einem schiefen Grinsen, das zwei fehlende Schneidezähne offenbarte – ein Makel, der sein feistes, von roten Äderchen durchzogenes Gesicht maßgeblich prägte.
Jakob verneigte sich. »Entschuldigt, daß ich Euch auf offener Straße anspreche. Mein Name ist Jakob Theis. Ihr kennt mich nicht, aber vielleicht habt Ihr mich bemerkt, als ich vorhin in Euer Gespräch mit dem Bürgermeister hineingeplatzt bin.«
»Und? Habt Ihr das Interesse an einer Unterhaltung mit ihm verloren?«
»Ich würde es vorziehen, mit Euch zu reden, wenn Ihr die Güte aufbringt, mir einige Minuten Eurer Zeit zu schenken.«
»Worüber wollt Ihr denn mit mir sprechen?«
»Das läßt sich am besten bei einem Krug Wein in der nächsten Schänke erklären«, schlug Jakob vor, und wie er es erwartet hatte, hellte sich Vortkamps Miene bei der Aussicht auf eine
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