Hexentage
verlassen?«
»Ich hatte Wilhelm Peltzer bereits aufgesucht, um ihm meinen Entschluß mitzuteilen.«
»Aber anscheinend hast du es nicht getan. Warum nicht?«
»Sagen wir, ich bin jemandem begegnet, der mich davon überzeugt hat, daß du in vielen Dingen recht hattest.«
»Ich
hatte
nicht recht, ich habe immer noch recht«, empörte sie sich scherzhaft. »Aber im Ernst, ich habe nicht verstanden, warum du heute morgen davongestürmt bist, als würde der Teufel selbst nach deiner Seele greifen.«
»Ich bin in Panik geraten«, sagte er und drückte sie an sich, »weil alles wahr ist, was du vermutet hast. Ich habe Gesichter, erlebe qualvolle Visionen von Unglücken, die Wochen oder Monate zurückliegen. Bilder, die mir vor Augen führen wie Menschen schreckliche Unglücke erleiden oder sogar ihr Leben verlieren. Ihre Schmerzen und ihre Verzweiflung drängen sich in meinen Kopf.«
|169| »Trotzdem erklärt dies nicht, warum du einfach so davongelaufen bist.«
»Sara, ist dir nicht klar, was diese Visionen bedeuten? Ich bin vom Teufel besessen. Der Antichrist hat sich meiner Seele bemächtigt und gibt mir seine satanischen Botschaften ein. Mein ganzes Leben lang habe ich dieses Geheimnis gehütet, weil ich Angst hatte, daß die Menschen mich verachten und fürchten würden. Dann lernte ich dich kennen, und du durchschaust mich bereits nach wenigen Tagen.«
»Wahrscheinlich habe ich so etwas vom ersten Moment an geahnt. Bereits während der Hinrichtung, als ich dich aus der Ferne gesehen habe, habe ich wohl das Besondere an dir gespürt.«
Auf eine seltsame Weise erleichterte es Jakob, daß er Sara sein Geheimnis gestanden hatte.
»Wirst du mich nun verachten?« fragte er.
»Unsinn«, gab sie prompt zurück. »Jakob, erinnerst du dich daran, daß ich dir gesagt habe, die Menschen würden vollkommen zu Unrecht jegliches Ungemach dem Teufel zur Last legen? Nun, mit dir verhält es sich anscheinend ebenso. Du lastest dem Teufel die Schuld an deinen Visionen an und fühlst dich vom Bösen durchdrungen. Bist du jemals auf den Gedanken gekommen, die Ursache in dir selbst zu suchen? Gewiß bereiten deine Visionen dir mitunter Qualen, aber sie machen dich auch zu einem Menschen mit einer ganz besonderen Gabe.«
»Eine Gabe? Etwa von Gott?«
»Vielleicht entspringt diese Gabe aber auch einfach aus deinem Inneren. Sie ist nicht gut und nicht böse, sondern einfach nur da.«
»Wenn es doch so einfach wäre …«
»Damals in Persien habe ich viele Geschichten über Menschen gehört, deren Gedanken angeblich in die Zukunft oder in die Vergangenheit reisen konnten. Sie wurden als heilige Personen verehrt, und ich habe mir sehnlich gewünscht, irgendwann einmal solch einem Menschen zu begegnen.«
Jakob kaute unentschlossen auf seiner Unterlippe, dann faßte |170| er sich ein Herz. »Da ist noch etwas, was ich dir sagen muß. Meine Visionen stehen stets in Zusammenhang mit dem Ort, an dem ich mich befinde, wenn sie mich übermannen. Es ist, als ob starke Gefühle daran gefesselt wären. Und als mich das Gesicht in der Ruine des Klosters überfiel, sah ich mich in den Körper einer Person versetzt, die sich noch im Kloster befand, als es in Flammen aufging.«
»Das kann nicht sein«, widersprach Sara. »Man hat keine Leichen gefunden. Das Kloster war verlassen.«
»Nein«, beharrte Jakob, »jemand hielt sich dort auf. Und dieser Jemand stürzte wie eine lebende Fackel nach draußen, direkt in die Arme des … Scharfrichters Klare.«
Sara zog ein ungläubiges Gesicht. »Matthias Klare? Bist du dir da wirklich sicher?«
»Ich sehe sein Gesicht noch deutlich vor mir. Und es sind vernarbte Brandwunden an seinen Händen zu erkennen. Als ich gestern aus deinem Haus geflohen bin, bin ich Klare begegnet. Ich folgte ihm in den Wald und beobachtete, wie er den geheimen Zugang zu einer Höhle oder einem Stollen freilegte.«
»Glaubst du, er verbirgt dort etwas?«
Jakob zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden.«
»Was hast du vor?«
»Ich werde versuchen, in die Höhle zu gelangen.«
»Laß die Finger davon. Deine Neugier könnte dich in Schwierigkeiten bringen.«
»Willst du etwa nicht wissen, was Klare mit dem Feuer zu schaffen hat?«
»Schon, aber …«
»Nein«, unterbrach er sie. »Wenn du recht hast und diese Visionen kein Fluch, sondern eine Gabe sind, dann habe ich den Auftrag, diese Gabe zu nutzen. Und ich verspreche dir: Ich werde Osnabrück nicht eher verlassen, bis wir
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