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Hexentage

Hexentage

Titel: Hexentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Wilcke
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eine Fähigkeit besitzt, die nur sehr wenigen Menschen auf dieser Erde zu eigen ist.«
    Ein heißer Schauer lief Jakob über den Rücken. Diesmal jedoch keine Welle lustvoller Erregung, sondern ein unangenehmes Gefühl.
    »Du hast Gesichter«, sagte Sara leise.
    Jakob war nicht fähig, darauf zu antworten, doch sie wartete auch gar nicht seine Antwort ab.
    »Ich sehe dir an, daß es dich verstört, wenn ich darüber spreche. Aber ich bin sicher, daß ich recht habe. Damals, als wir im Kloster vor dem Regen Schutz gesucht haben, ist etwas mit dir geschehen. Du hast auf mich den Eindruck gemacht, als wärest du weit fort. Ich hatte regelrecht Angst um dich. Dann kamst du wieder zu dir und wolltest nicht über diesen Vorfall sprechen, doch ich habe dir angesehen, daß du sehr erschrocken warst. Was ist dort mit dir geschehen, Jakob? War es eine Vision?«
    Dieses letzte Wort löste Jakob endlich aus seiner Starre. Nackt sprang er aus dem Bett, sammelte rasch seine Kleidung auf, die sie gestern in ihrer Hast achtlos auf den Boden geworfen hatten, und zog sich an.
    |155| »Jakob, bitte geh nicht«, versuchte Sara ihn aufzuhalten, doch er reagierte nicht darauf, sondern band schnell sein Hemd zu, schlüpfte in seine Stiefel und verließ ihre Kammer, ohne noch einmal zurückzuschauen.
    In der Werkstatt traf er auf Mina, die wie immer grinste, wenn er ihr begegnete.
    »Guten Morgen, der Herr«, rief sie und schien auf ihre umständliche Art darüber zu grübeln, warum er um diese Zeit aus Saras Kammer kam.
    Jakob hielt sich nicht mit einer Erklärung auf und stürmte aus dem Haus. Er mußte fort von hier, fort von Sara, die alles, was sie mit ihm verband, mit einer einzigen Bemerkung zunichte gemacht hatte.
    Er rannte durch die Straßen, bis er die Altstadt erreicht hatte. Keuchend und mit Schmerzen in seinem Bauch lehnte er sich an eine Mauer des Barfüßerklosters und schnappte nach Luft. Vom gegenüberliegenden Wirtschaftshof der Franziskaner her ertönte ein lautes Scheppern und eine keifende Stimme, die wütende Anweisungen erteilte. Dann wurde es wieder still.
    Über Jahre hinweg war es Jakob gelungen, sein Geheimnis zu schützen. Und nun – nun lernte er Sara kennen, und diese Frau konfrontierte ihn bereits nach wenigen Tagen mit diesem teuflischen Fluch, der auf hinterhältigste Art und Weise sein Leben beeinflußte. Warum hatte sie nicht einfach schweigen können? Konnte ihm ihr Wissen gefährlich werden? Er hatte auf ihre Vermutung nicht geantwortet, also blieb es auch nur eine Vermutung. Doch sein überstürzter Aufbruch kam wohl einem Geständnis gleich.
    Jakob rieb sich mit den Händen das Gesicht und faßte den Entschluß, Sara niemals wieder gegenüberzutreten. Ihr Einfluß auf ihn konnte fatale Folgen haben. Er hatte ihr zuliebe den Bürgermeister belogen, hatte vertrauliches Wissen weitergegeben und zudem der fleischlichen Sünde gefrönt, obwohl seine Braut in Minden auf ihn wartete und sich wahrscheinlich seit Tagen |156| um ihn sorgte. Verdammt, was war nur mit ihm geschehen, daß er all seine Prinzipien über Bord warf? Hatte Sara ihn womöglich doch verhext? Dieser Kaffee – konnte es sein, daß es sich dabei um einen verzauberten Trank gehandelt hatte, durch den er in ihren Bann gezogen worden war?
    »Obacht!« keifte eine Stimme aus dem Fenster über ihm. Jakob sprang zur Seite und konnte gerade noch rechtzeitig dem Inhalt eines Nachtgeschirrs ausweichen, das auf die Straße entleert wurde.
    Jakob trottete traurig zur Hakenstraße zurück. Zu allem Überfluß würde er Peltzer auch noch erklären müssen, wo er die letzte Nacht verbracht hatte.
    Während er noch über eine Antwort auf diese Frage nachdachte, bemerkte Jakob am Ende der Straße den Scharfrichter Matthias Klare, der auf dem Rücken einen Weidekorb trug.
    Das geht dich nichts an,
sagte die Stimme der Vernunft in ihm.
Was schert es dich, wohin es den Mann zu dieser frühen Stunde zieht?
    Doch anstatt zum Haus der Peltzers zurückzukehren, folgte Jakob dem Scharfrichter in gebührendem Abstand. Klare verließ die Stadt und schlug den Weg in Richtung Gertrudenberg ein. Zog es Klare womöglich an den Ort zurück, über den er so viel Unheil gebracht hatte? Je weiter sie in den Wald kamen, desto schwieriger wurde es für Jakob, dem Scharfrichter nicht aus den Augen zu verlieren.
    Als Jakob auf einen trockenen Ast trat, der ein lautes Knacken von sich gab, blieb Klare abrupt stehen. Jakob duckte sich rasch hinter einen Erdwall und wartete

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