Hexentage
Sara den Stollen betreten, in dem sie die Leiche des Scharfrichters vorfanden, der sich mit seinem Messer die Kehle aufgeschlitzt hatte.
Doch zu seiner Erleichterung hatte Klare sich nichts angetan. Er hockte am Lager der verbrannten Frau, hatte ihren Kopf auf seinen Schoß gelegt und streichelte ihr besänftigend über das strähnige Haar. Seine traurigen Augen richteten sich zuerst auf Sara, dann blickte er schuldbewußt zu Boden. Jakob gewann den Eindruck, als habe Klare insgeheim damit gerechnet, daß nicht er, sondern die Stadtwache in der Höhle auftauchen würde.
Sara entzündete eine zweite Lampe und schlug das Laken zurück, unter dem ein dürrer, mit einem fleckigen Leinenhemd bekleideter Frauenkörper zum Vorschein kam. Sie drückte einen Zipfel ihrer Schürze vor ihr Gesicht, weil der Geruch noch durchdringender geworden war, und begann die verwirrte Frau zu untersuchen. Doch da die Frau sich aufgeregt hin und her wand, ließ sich Sara von Jakob ein Fläschchen aus ihrer Tasche reichen, von dem sie der Verletzten unter Mühen einige Tropfen einflößte.
|181| »Was ist das für ein Trunk?« fragte Klare, während er den Kopf und die Arme der Frau festhielt, so daß Sara das Fläschchen an ihren Mund führen konnte.
»Ein Sud, der aus der Mandragora-Wurzel gewonnen wird. Er lindert die Schmerzen und beruhigt das Temperament.«
Der Scharfrichter verfolgte Saras Vorgehen und ließ die Hände erst los, als die Frau allmählich ruhiger wurde.
»Wir müssen sie nach draußen schaffen«, verlangte Sara. »Es grenzt an ein Wunder, daß sie ohne frische Luft überhaupt so lange überleben konnte.«
»Nein«, verwehrte sich Klare. »Ihr Fleisch ist vom Feuer zerstört worden. Das Licht wird sie nur noch mehr schwächen.«
Sara funkelte ihn trotzig an. »Wer hat Euch solchen Unsinn erzählt? Jemand aus der Fleischergilde?«
Klare brummte mißmutig, aber er sah wohl ein, daß er kaum in der Position war, sich Saras Anweisungen zu widersetzen. So faßten er und Jakob das Laken, hoben es an und trugen die magere Gestalt vor den Eingang des Stollens. Die Frau stieß einen gellenden Schrei aus, als das Tageslicht ihre empfindlichen Augen traf. Sara drängte die Männer ein Stück zurück, so daß sie den Körper einige Meter vom Eingang entfernt niederlegten.
»Gut«, meinte Sara. »Hier wird das Licht nicht mehr in ihren Augen brennen, aber es ist noch hell genug, um die Geschwüre zu behandeln.«
Sie benutzte eine Schere, um das Hemd aufzuschneiden, und entblößte den von eitrigen Geschwüren übersäten Körper. Jakob senkte den Blick. Einerseits beschämte es ihn, diese Frau nackt vor sich zu sehen, andererseits wandte er aus reinem Ekel seine Augen ab.
»Du mußt mir schon helfen«, verlangte Sara und winkte Jakob zu sich. Angewidert kniete er sich neben sie und betrachtete den verbrannten Körper zum ersten Mal im Tageslicht. Etwa die Hälfte der Haut war von Brandwunden entstellt. Vor |182| allem die linke Seite war arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Arm und Brust waren fast vollständig von der schimmernden bronzenen Farbe der gerissenen Hautlappen überzogen, aus denen dickflüssiger Eiter quoll. Auch die Oberschenkel, die rechte Schulter und der Kopf waren von Geschwüren übersät. Der Rest der Haut hob sich unversehrt und weiß wie Mehl von den schrecklichen Verletzungen ab.
Sara hatte Klare mit einem Eimer ausgeschickt, um Wasser aus einem Bach in der Nähe herbeizuschaffen. Als er zurückkehrte, fragte sie ihn: »Wie habt Ihr die Wunden der Frau versorgt?«
Klare stellte den Eimer vor ihr ab und tauchte einen Stofflappen ein. »Nachdem ich die Flammen erstickt hatte, habe ich sie in diesen Stollen getragen und ihre Haut mit Wasser gekühlt. Am Tag darauf rieb ich die Wunden mit Butter ein. Trotzdem entstanden diese Blasen. Ich hoffte, sie würden sich zurückbilden, doch sie platzten auf und ließen den Eiter herausfließen.«
»Mit der Butter habt Ihr dieser Frau das Leben gerettet, Meister Klare, aber eines verstehe ich nicht: Warum, in Gottes Namen, habt Ihr Euch nicht an einen Arzt gewandt?«
Das Gesicht des Scharfrichters nahm einen verzweifelten Ausdruck an, und Jakob befürchtete schon, daß er erneut in Tränen ausbrechen würde, doch er erwiderte leise: »Ich bin kein Laie, was die Medizin betrifft.«
»Euch obliegt die Pflicht, die Inhaftierten in den Kerkern der Stadt am Leben zu erhalten. Aber habt Ihr wirklich angenommen, Euer Können reiche für einen Menschen aus, der
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