Hexenwahn
Perlen auf weißen Kissen, die Nase war klein und vielleicht ein wenig zu breit. Unter der schmalen Oberlippe begann ein Mund, dessen Winkel einen zynischen Zug zum Kinn hin zeigten und ahnen ließen, daß mit dieser Person nicht gut Kirschenessen war. Das stimmte auch, denn die Frau in dem dunkelblauen, eng anliegenden Kostüm war keine geringere als Wikka, die oberste aller Hexen auf der Erde.
Überall auf der Welt gab es Kulte und Vereinigungen, die nur ihr huldigten. Wikka war das Sinnbild aller Hexen. Sie betete man an, ihr wurde gehuldigt, und sie hatte es geschafft, die einzelnen Hexenclubs auf der Welt zu verbinden. Sie waren wie in einem gewaltigen Netz gefangen, in dessen Mittelpunkt Wikka wie die fette Spinne hockte und alles beobachtete.
Diesmal hatte sie der Weg nach London und damit zu einem Mann geführt, der sich seit einiger Zeit hier aufhielt und die Hexenclubs in der Stadt aktivierte. Der Zulauf zu diesen Clubs war in den letzten Jahren enorm gewachsen. Die Menschen hatten es einfach satt, nur seelenlose Maschinen einer Industriegesellschaft zu sein. In den Clubs wurden sie nicht so offen unterdrückt, dort konnten sie ihren Trieben frönen und Exzesse ausleben. Wikka liebte so etwas. Sie brauchte dies. Je mehr Dienerinnen und Diener, um so stärker wurde ihre Macht, besonders jetzt, wo die Kraft der Teufelstochter Asmodina langsam aber sicher schwand. Wikka wollte ein Gegengewicht aufbauen, die Menschen sollten keine Ruhe finden, sie sollten wissen, an wen sie sich wenden konnten, wenn sie alles anwiderte. Der Teufel konnte jeden brauchen.
Wo es Licht gibt, da existiert auch Schatten. Wenn sich Wikka als das Licht bezeichnete, so apostrophierte sie ihre Gegner als die Schatten.
Und leider gab es davon genug. Vor allen Dingen in London, wo nicht nur der Geisterjäger John Sinclair, ein Erzfeind des Bösen, lebte, sondern sich auch Menschen zusammengefunden hatten, die eine Gegenbewegung aufzogen. Sie bezeichneten sich selbst als moderne Hexenjäger und verfolgten die Personen, die sie als angebliche Hexen erkannt hatten, mit unbarmherziger Härte. Das ging so weit, daß sie wie im Mittelalter Scheiterhaufen anzündeten, um die Hexen zu verbrennen.
Dabei kamen auch Unschuldige um, aber einige Hexen hatten sie tatsächlich verbrannt. Bisher war dies alles nur im geheimen geschehen, und es hatte auch fast ein Jahr gedauert, doch nun war etwas an die Öffentlichkeit gedrungen, und die Polizei schaltete sich ein.
Das war in diesem Fall der Geisterjäger John Sinclair. Von ihm ging eine ebenso große Gefahr aus wie von den fanatischen Hexenjägern. Nur entsprachen Sinclairs Methoden dem geltenden Gesetz, während sich die eigentlichen Hexenjäger darum nicht scherten. Das alles wußte Wikka, und das war auch ihrem Freund Gordon Schreiber bekannt, einem Günstling des Teufels, der mit Wikka die Hexenhochzeit zelebrieren sollte. Wikka war einverstanden, denn es schadete nicht, wenn ihr ein Verbündeter zur Seite stand. Schreiber hatte Einfluß, er kannte den Jet-set, hatte allerdings schon eine Niederlage erlitten. Die verdankte er John Sinclair.
Der Geisterjäger und seine Freundin Jane Collins hatten ihn aus der Seelenburg vertrieben. Das vergaß Schreiber nie. Seit dieser Zeit verfolgte er die beiden mit glühendem Haß. Er war auch deshalb nach London gekommen, um Rache an ihnen zu nehmen, vor allen Dingen an der blonden Jane Collins, die, wenn alles glattging, die Hexenhochzeit mitfeiern sollte. Allerdings als Blutopfer für den Teufel. Dies waren Zukunftsgedanken, mit denen sich Wikka beschäftigte. Erst einmal mußte Gordon Schreiber den Schrein finden und ihn herbringen.
Als Wikka daran dachte, drehte sie den Kopf. Versteckt hinter den kahlen Bäumen eines großen Vorgartens lag das einsame Haus. Es hatte mal einem Adligen gehört, war dann verkauft worden und stand seit zehn Jahren leer. Niemand hatte sich für das Gebäude interessiert, das dennoch einen so kostbaren Schatz in sich barg wie den geheimnisvollen und doch mächtigen Teufelsschrein. Wikka warf einen Blick auf die Uhr am mahagonigetäfelten Armaturenbrett.
Mitternacht war vorbei. Eigentlich mußte Gordon Schreiber den Schrank schon geöffnet haben. Daß etwas schiefgehen konnte, daran glaubte sie nicht. Schreiber war ebenso würdig wie sie, denn nur Würdige durften den Schrein öffnen.
Asche fiel vom Zigarillo und stäubte auf Wikkas Beine. Sie blies das Zeug weg, richtete sich wieder auf und tat nichts, als plötzlich mit
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