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Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft

Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft

Titel: Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Nacht folgte, in der er sich hierher verirrt und die bizarren Knochenboote zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte versucht, mit seinen Freunden darüber zu reden und von dem Sonderbaren zu berichten, aber es war ihm nicht gelungen. Seine Kehle war wie zugeschnürt gewesen. Alles, was er hervorgebracht hatte, war ein albernes Kichern.
    Der Wind drehte sich, fuhr raschelnd durch das dichte, tropische Unterholz, in dem Eldekerk Schutz gesucht hatte, und trug den düsteren Singsang, der das Erscheinen der Boote begleitete, für einen Moment stärker heran. Eldekerk schauderte. Das Geräusch erinnerte ihn an den dumpfen Wechselgesang mittelalterlicher Mönche, die ein Opfer zur Inquisition begleiteten. Eldekerk wusste nicht, warum – aber ganz genau das war das Bild, das seine Phantasie zu diesen Tönen erschuf.
    Er versuchte die Vorstellung zu vertreiben, aber es gelang ihm nur zum Teil. Sie blieb und gesellte sich der Angst hinzu, die der Anblick des guten Dutzends niedriger Boote ohnehin in ihm wachrief.
    Die sonderbare Prozession kam näher, so nahe, dass Eldekerk sie nun fast schon mit bloßem Auge als Schiffe erkennen konnte. Beim ersten Mal hatten sie kaum hundert Meter zurückgelegt, ehe sie verschwanden, am zweiten gut die doppelte Distanz, dann einen halben Kilometer, einen ganzen …
    Eldekerk wusste nicht, was geschehen würde, wenn sie die Küste erreichten. Der Felssims, auf dem er lag, wuchs wie ein von der Hand der Natur erschaffener Balkon gute zehn, zwölf Meter ins Nichts hinaus, sodass er den dreißig Meter tiefer gelegenen Küstenstreifen nicht erkennen konnte. Aber er glaubte auch nicht, dass sie die Küste heute erreichen würden. Es gab zwei Dinge, die dagegen sprachen.
    Das eine waren Eldekerks – zugegeben beschränkte – Mathematikkenntnisse. Er hatte versucht, die Strecke abzuschätzen, die noch zwischen der gespenstischen Flotte und der Küste lag, und die allabendliche Verdopplung des Weges, den sie zurücklegte. Wenn er sich nicht geirrt hatte, dürften sie die Küste frühestens in der folgenden Nacht erreichen.
    Das andere war der Mond.
    Eldekerk war kein abergläubischer Mensch, ganz und gar nicht. Er wusste nur, dass es Dinge gab, die mit dem Wissen und der Logik der Menschen nicht unbedingt zu erklären waren. Diese Flotte und ihre gespenstischen Steuermänner gehörten dazu. Als Eldekerk sie das erste Mal gesehen hatte, war Neumond gewesen. Jetzt fehlte noch ein Finger breit, aus dem Mond ein vollkommen gerundetes, fettes Auge zu machen, das vom Himmel blinzelte.
    Er war sehr sicher, dass die Gespensterflotte die Küste Krakataus genau bei Vollmond erreichen würde.
    Das erste Boot näherte sich der Stelle, die Eldekerk in Gedanken errechnet hatte. Hastig stemmte er sich auf die Ellbogen hoch, fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen, die vom langen angestrengten Starren zu schmerzen begonnen hatten, und setzte sein Fernglas wieder ab.
    Der lang gestreckte Schatten wuchs zu einem grotesken Boot heran, in dem ein noch groteskeres Wesen stand, das es mit einer langen, irgendwie lebendig aussehenden Stange von der Stelle stakte. Aber Eldekerk hatte an diesem Abend weder einen Blick für das abstruse Knochengesicht des Mannes, noch für sein seltsames Boot. Mit angehaltenem Atem und zitternd vor Spannung wartete er.
    Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.
    Der Knöcherne stakte das Boot noch zehn, vielleicht zwölf Stöße weiter und zog seine Stange dann ein.
    Einen Augenblick später begann das Boot zu verblassen.
    Eldekerk hatte einmal zugesehen, wie ein Fotograf eine seiner Platten in ein Chemiebad legte und auf dem scheinbar leeren Stück Metall nach und nach ein Bild erschien, wie aus dem Nichts. Der Vorgang, den er jetzt beobachtete, war genauso, nur umgekehrt. Langsam, ganz langsam, als stehle eine unsichtbare Macht dem Schiff dort draußen seine Realität, löste sich das seltsame Gefährt auf. Seine Farben verblassten. Es wurde durchsichtig, schien für einen kurzen Moment zu zerfließen wie ein Spiegelbild in klarem Wasser, in das jemand einen Stein geworfen hatte – und war fort.
    Das Fernrohr in Eldekerks Hand suchte das nächste Boot. Lautlos glitt es heran, erreichte die Stelle, an der das erste verschwunden war – und verblasste ebenfalls.
    Der Vorgang wiederholte sich noch ein gutes Dutzend Mal, dann war der Ozean wieder so leer, wie vor dem Erscheinen der seltsamen Flotte, und auch die Lichterscheinungen und Geräusche waren verschwunden.
    Aber

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