Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
dich eigentlich besser auskennen. Diese Stadt ist nur ein winziger Teil Kadaths, ein Vorposten sozusagen. Hier kann man Einfluss nehmen auf die Existenz der Umgebung, kann sie nach seinem Willen selber formen, solange es hell ist. Das magische Erbe deines Vaters muss stark genug dafür gewesen sein.« Er grinste humorlos. »Ich an deiner Stelle hätte mir allerdings etwas Angenehmeres eingebildet als diese Dämonenkreatur.«
Die Erkenntnis ließ mich schwindeln. Für einen Augenblick drehte sich alles vor meinen Augen, und ich musste mich an einer Hauswand abstützen. Nur am Rande registrierte ich, dass sie nicht mehr kristallin war, sondern aus schwarzem, pockigem Gestein bestand.
Die ganze Schönheit der Stadt sollte nicht mehr als Einbildung gewesen sein? Nur langsam dämmerte mir, was vorgefallen war. Auf dem Turm hatte ich flüchtig an eine El-o-hym gedacht. Mein Unterbewusstsein musste Shadow daraufhin erschaffen haben. Das Gefühl der Absurdität, das ich die ganze Zeit über gehabt hatte, ihr seltsames Verhalten, die wechselnde Zimmereinrichtung … langsam fügte sich alles zu einem Gesamtbild zusammen.
»Ich verstehe«, murmelte ich dumpf.
Für mich brach eine Welt zusammen. Die ganze Zeit über hatte es Shadow nicht gegeben. Ihre Auferstehung von den Toten, das Streicheln ihrer Hände, unsere Küsse – alles nichts weiter als eine Illusion, die an diesem verrückten Ort für ein paar Stunden Realität geworden war.
Voller verzweifelter Wut hämmerte ich mit der Faust gegen eine Wand. Den Schmerz spürte ich kaum. Mit Nemos Erklärung war etwas in mir gestorben. Eine noch längst nicht verheilte Wunde war wieder aufgebrochen, und ich spürte nichts als Leere in mir, in der ein immer stärker werdender Hass keimte.
»Beim Untergang der Sonne ist die Illusion verschwunden«, fuhr Nemo fort. »Ich weiß nur, dass es so ist, nicht warum. Aber anscheinend geschah es genau im richtigen Augenblick. Auch wenn es diese Kreatur nicht gegeben hat, hättest du sterben können, wenn du nur fest genug daran geglaubt hättest.«
»Nenn sie nicht Kreatur!«, schrie ich ihn an. Ich wollte ihn erneut packen, doch dann wurde mir noch rechtzeitig bewusst, dass er Shadow schließlich nur in ihrer Dämonengestalt gesehen hatte. »Verzeih«, murmelte ich und ließ die Hände wieder sinken. »Sie ist nicht nur das, was du gesehen hast«, fügte ich nach einer kurzen Pause hinzu.
Nemo starrte mich einen Moment lang irritiert an, als erwarte er eine weitere Erklärung, doch ich hatte nicht die geringste Lust ihm zu erzählen, wer Shadow wirklich war. Als ich beharrlich schwieg, zuckte er mit den Schultern und deutete auf den massiven Klotz vor uns, der sich als einziges Bauwerk nicht verändert zu haben schien.
»Howard und meine Leute sind dort drin«, sagte er. »Ich weiß kaum etwas über die GROSSEN ALTEN, aber es würde sicherlich nicht angenehm, wenn Es Nyarlathotep tatsächlich erwecken würde.«
Ich lachte bitter auf.
»Es wäre das Ende der Welt und das ist nicht nur so dahingesagt. Aber es wird nicht geschehen. Solange die SIEBEN SIEGEL DER MACHT nicht zusammengefügt werden, können die GROSSEN ALTEN nicht erwachen.«
»Auch dann nicht, wenn ein ehemaliger Time-Master des Templerordens die Grenzen der Zeit einreißt und einen Durchbruch zu der Zeit vor der Verbannung schafft? Und das hier in Kadath, einem von den GROSSEN ALTEN selbst geschaffenen Ort, an dem die Gesetze der Wirklichkeit nicht gelten?«
Ein eisiger Schauer lief über meinen Rücken. Ich wurde mit einem Mal blass. Sehr blass.
»Wir müssen es unter allen Umständen verhindern«, presste ich hervor und packte den Griff des Stockdegens fester.
»Zu spät«, antwortete Nerao und deutete auf den Eingang des Gebäudes.
Lautlos wie eine Armee gleitender Schatten waren Nemos Leute aus dem Gebäude getreten. Ihre Augen blickten starr wie Glaskugeln und in ihren Gesichtern zeigte sich nicht die geringste Spur von Leben. Mit abgehackten, aber dennoch raschen Bewegungen schwärmten sie aus und begannen uns in einem großen Kreis zu umzingeln.
»Wir müssen fliehen«, keuchte Nemo neben mir. »Wir haben keine Chance …«
»… jemals wieder hierher zurückzufinden, wenn wir jetzt blindlings davonlaufen«, fiel ich ihm ins Wort, ohne die Sklaven des Shoggoten eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Howard befand sich nicht unter ihnen und auch der Shoggote selbst war nirgendwo zu sehen, was den nagenden Schrecken in mir noch steigerte.
Nemo
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