Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
schaute mich einen Augenblick lang entsetzt an, dann senkte er den Blick. Er wusste, dass ich Recht hatte. Die Entscheidung würde jetzt und hier fallen. Eine Flucht war unmöglich.
Etwas war im Inneren des Turmes geschehen, das mit einem Schlag alles verändert hatte, auch wenn ich noch nicht wusste, was es war. Stundenlang hatten die Beeinflussten sich nicht um uns gekümmert, nun hatten sie den Turm verlassen und würden uns nicht mehr entkommen lassen, auch wenn sie uns noch nicht angriffen. Ihre alleinige Anwesenheit war Drohung genug.
Sicher, sie standen noch nicht in unserem Rücken. Wir hätten fortlaufen können und wären wahrscheinlich sogar schneller gewesen als die Beeinflussten, aber es hätte nichts geändert. Instinktiv spürte ich, dass sie uns diesmal nicht mehr unbehelligt würden ziehen lassen. Sie würden uns wie die Hasen jagen und was ihnen in ihrem Zustand an Schnelligkeit fehlte, machten sie durch Ausdauer doppelt wett. Auf einen Befehl des Shoggoten würden sie notfalls rennen, bis sie tot umfielen. Zudem kannte Es diesen Ort und war uns schon dadurch überlegen. Nein, eine Flucht war das Sinnloseste, was wir tun konnten – womit ich nicht sagen will, dass es auch nur eine wesentlich sinnvollere Möglichkeit für uns gab.
»So tu doch etwas«, stieß Nemo fast flehentlich hervor. Er fingerte nervös an seiner Pistole. Außer seiner Kapitänsuniform erinnerte nichts mehr an ihm an den Mann, als den ich ihn bei unserer ersten Begegnung kennen gelernt hatte, und dem die Legenden eine menschenverachtende Grausamkeit nachsagten. In gewisser Hinsicht stimmte das sogar. Nemo war lange Zeit vom Hass auf die Menschheit verblendet gewesen. Der Hass hatte ihn hart gemacht und er war auch in dem Sinne grausam, dass er es vermochte, Menschenleben gegeneinander abzuwägen, aber trotz allem war er auch ein gerechter Mann.
Die Menschen, die uns gegenüberstanden, waren nicht nur geistlose Sklaven des Shoggoten, sondern sie waren in erster Linie immer noch seine Mitarbeiter. Menschen, die sich ihm angeschlossen hatten, weil sie seinen Traum von einer vereinten, friedlichen Welt teilten, die ihm vertraut hatten und ihm nun plötzlich ohne eigenes Verschulden als Feinde gegenüberstanden.
Ich zweifelte nicht daran, dass er sie in Notwehr niederschießen würde, um sein eigenes Leben zu retten. Es ging nicht nur um uns beide, sondern vielleicht wieder einmal um das Schicksal der ganzen Welt, und auch wenn es sich wie eine abgedroschene Phrase anhört, ändert das nichts daran, dass es die Wahrheit war. Nemo befand sich zwischen den Fronten und in einem unlösbaren Gewissenskonflikt. Ich drückte seine Waffenhand herunter, bevor er noch größeres Unheil anrichten konnte.
»Nicht auf diese Art«, sagte ich bestimmt. »Steck die Pistole weg.« Immer noch ließ ich die Beeinflussten, die den Kreis um uns immer mehr schlossen, nicht aus den Augen.
Gleichzeitig tastete ich behutsam nach ihren Gedanken. Ich spürte, wie sich die Hypnose des Shoggoten meinen Bemühungen entgegenstellte. Verbissen kämpfte ich gegen den Widerstand an. Ihr seid frei!, hämmerte ich wieder und wieder in die Gedanken der Menschen, spürte aber gleichzeitig, dass mein Befehl sie nicht erreichte. Dafür nahm ich eine andere Quelle unglaublich starker Magie wahr, die nichts mit der Hypnose zu tun hatte und aus dem Gebäude drang. Was auch immer dort drinnen vorging, es war noch nicht abgeschlossen.
Nach einigen Sekunden gab ich den sinnlosen Kampf gegen den fremden Einfluss auf. Die Hypnose war zu stark; ich vergeudete lediglich meine Kraft.
Der große Kreis um uns hatte sich mittlerweile geschlossen und langsam traten die Besessenen näher. Ich steckte den Stockdegen in seine hölzerne Hülle zurück, sodass er wieder wie ein harmloser Spazierstock aussah. Dann packte ich ihn am unteren Ende, um den massiveren Knauf wie eine Keule einsetzen zu können.
»Ins Gebäude«, raunte ich Nemo zu. Ohne eine Bestätigung abzuwarten, stürmte ich vor.
Den ersten Beeinflussten rannte ich schlichtweg über den Haufen, noch bevor er meinen Plan erfasste. Eine Hand packte meine Jacke und wirbelte mich herum. Im letzten Moment konnte ich mich unter dem sofort nachfolgenden Faustschlag ducken.
Ein weiterer Schlag traf meine Brust und presste mir die Luft aus den Lungen. Ich krümmte mich vor Schmerz und kassierte einen mit verschränkten Händen ausgeführten Hieb in den Nacken. Im letzten Moment konnte ich den Kopf ein wenig zur Seite nehmen,
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