Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
hatte ich nicht mehr an ihn gedacht und daran war keineswegs nur mein allmählich altersschwaches Gedächtnis schuld.
Zornig blickte ich auf die El-o-hym herab.
»Versuche so etwas nie wieder!«, herrschte ich sie an. »Ich weiß nicht, was du gemacht hast und was du damit bezweckst, aber lass es, oder ich …«
»Oder was?«, unterbrach sie mich mit einschmeichelnder Stimme, die mir mehr als alles andere zeigte, wie lächerlich es im Grunde war, einem Engel drohen zu wollen. Wütend ballte ich die Fäuste.
»Robert, ich habe nichts getan, was dir schaden könnte«, fuhr sie rasch fort und machte eine weit ausholende Geste. Das Zimmer wurde wieder zu dem, was es vorher war. Nicht mehr als ein leerer Raum in einem leeren Gebäude. »Du bist erschöpft, auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Und außerdem haben wir uns so lange nicht gesehen und ich …«
»Und du kannst nicht wieder Priscyllas Gestalt annehmen, um meine Liebe zu erschleichen«, stieß ich hervor, härter als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Ihre Ruhe und ihr mitleidiges Lächeln trieben mich zur Raserei. Obwohl meine Worte ihr Schmerzen bereiten mussten und der Vorwurf unberechtigt war, schluckte ich die Entschuldigung herunter, die mir auf der Zunge lag. Ich kam nicht gegen den Zorn an, der plötzlich in mir war, wusste nicht einmal, woher er kam. Das Gefühl, mich in einer völlig absurden, inszenierten Situation zu befinden, hatte sich mit dem Verschwinden der Möbel keineswegs verringert. Das Wesen, das vor mir stand, war nicht die Shadow, die ich gekannt hatte. Ich konnte mir nicht einmal entfernt vorstellen, was sie in den letzten acht Monaten durchgemacht hatte, aber ich konnte die mit ihr vorgegangenen Veränderungen spüren. Unterschwellig nur, aber dennoch deutlich genug, um sie nicht als bloße Einbildung abtun zu können. Wenn ich sie beleidigte, so diente es mir als Ventil, um meine Hilflosigkeit durch Grobheit zu überspielen, und war zugleich ein Versuch, endlich ein wahres Gefühl an ihr zu entdecken.
Doch selbst jetzt schien mir der Ausdruck von Schmerz auf ihrem Gesicht noch gespielt, wie bei einer äußerlich makellosen Puppe, der man nur eines nicht hatte mitgeben können: eine Seele.
Was hatte man nur mit ihr gemacht?, dachte ich entsetzt.
Mit aller Kraft kämpfte ich gegen meinen Zorn an und räusperte mich. »Du hast gesagt, dass du mich zu Howard bringen kannst«, wechselte ich das Thema.
Shadow nickte.
»Dann bring mich hin«, forderte ich und versuchte alle Härte, die ich aufzubringen in der Lage war, in meine Stimme zu legen. »Jetzt sofort.«
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich zum Ausgang und trat auf die Straße. Ihr Gesicht war maskenhaft starr. Hastig folgte ich ihr.
Die Sonne war merklich tiefer gesunken und hatte sich rötlich verfärbt. Sie schien den ganzen Himmel in flüssiges Feuer zu tauchen. Auch auf die Gebäude blieb die Veränderung nicht ohne Wirkung. Ihr vormals strahlender Glanz hatte sich auf den unteren, in Schatten getauchten Metern in ein mattes Grau verwandelt und jeden Rest von Schönheit verloren. Es war auch möglich, dass ich es nur so wahrnahm, weil ich gar nichts anderes sehen wollte. Bei allem, was mich beschäftigte, machte ich mir nicht auch noch darüber Gedanken, wie gut mir diese Totenstadt nun gefiel.
»Uns bleibt nicht viel Zeit«, drang Shadows Stimme in meine Gedanken. »Es kann nicht mehr lange dauern, bis die Sonne untergeht. Bis dahin müssen wir den Shoggoten gefunden haben. Bei Nacht steigert sich seine Macht um ein Vielfaches.«
Ich musterte sie unsicher. Ihre Gestalt schien sich der veränderten Umgebung anzupassen, ebenfalls dunkler und grau zu werden. Ihre Flügel verloren ihre Anmut und erinnerten an farbloses Gestein. Bei Nacht sind alle Katzen grau, durchfuhr es mich. Ihre plötzliche Eile, die so gar nicht zu ihrem vorherigen Verhalten passen wollte, irritierte mich.
Ich folgte ihr durch das Labyrinth der verwinkelten Straßen, in dem ich mich schon nach wenigen Yards hoffnungslos verirrt hätte. Die El-o-hym fand den Weg mit traumwandlerischer Sicherheit. Mir fiel auf, dass sie immer wieder den Kopf zum Himmel wandte. Man konnte das Sinken der Sonne fast mit bloßem Auge verfolgen. Es sah aus, als würde der glutrote Ball von den spitzen Türmen aufgespießt, und mit jeder Hand breit, die er sich tiefer senkte, schien Shadow ein wenig von ihrer Stofflichkeit einzubüßen.
Wir rannten mittlerweile so schnell wir nur konnten durch die endlosen, toten
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