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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hätte die lächerlich dünnen Fäden eigentlich zerreißen müssen, aber er tat es nicht. Er stürzte auch nicht zu Boden, sondern blieb wie festgeklebt in Kopfhöhe hängen und nach einigen Augenblicken begann er sich zu verändern. Das Braungrau der abgestorbenen Baumrinde wurde dunkler. Es färbte sich nicht etwa schwarz, sondern schien vielmehr jede Farbe zu verlieren. Zugleich veränderte sich auch der Ast selbst. Was mit ihm geschah, war unmöglich in Worte zu fassen – er schien von dem schwarzen Netz regelrecht aufgesogen zu werden, wurde dünner, begann sich zu biegen und zu zucken – und war nach einigen Augenblicken völlig verschwunden. Das fürchterliche Gewebe hatte ihn einfach assimiliert, ihn zu einem Teil seiner eigenen Substanz gemacht und war damit erneut um ein winziges bisschen gewachsen.
    Ich blieb noch eine ganze Weile reglos so stehen und starrte die Stelle an, an der der Stock gehangen hatte, dann drehte ich mich endgültig zur Seite und trat auf die Bahngleise hinauf. Das Netz überspannte auch diese Lücke in undurchdringlicher Dichte und ich war sicher, dass es sich auf der anderen Seite im Wald fortsetzte; so sicher, dass es im Grunde gar nicht mehr nötig schien, mich davon zu überzeugen. Natürlich tat ich es trotzdem. Ich überquerte die Schienen, fand auch hier das undurchdringliche schwarze Netz vor und marschierte eine ganze Zeit lang daran entlang. Nach einer knappen Viertelstunde erreichte ich das Ende des Waldes. Die Bäume hörten wie abgeschnitten auf und gingen in eine leblose, graubraune Öde über, die früher wohl einmal ein Feld oder eine gras- oder heidebewachsene Ebene gewesen sein mochte. Zu meiner Rechten erstreckte sich noch ein Rest davon. Zwischen Felsen und Geröll entdeckte ich blasses grünes Unkraut, hier und da ein dunkelviolettes Büschel von Heidekraut oder einen verkrüppelten Busch, aber zu meiner Linken war nichts als Leere und Leblosigkeit. Es gab hier kein Netz, aber als ich mich vorsichtig der imaginären Trennlinie zwischen Leben und Leblosigkeit näherte, entdeckte ich ein feines schwarzes Gespinst, das den Boden überzog. Der Streifen war gute drei Meter breit und somit gerade breit genug, dass man ihn nicht überspringen konnte, und ich wagte es so wenig, ihn zu berühren, wie ich es zuvor gewagt hatte, das Netz anzufassen. In respektvollem Abstand folgte ich der kaum sichtbaren Todeslinie für weitere zehn oder fünfzehn Minuten, ehe ich mir schließlich eingestand, was ich im Grunde schon längst wusste: Es gab keinen Weg aus dieser Falle. Wenn ich die Linie, die die tödliche Grenze beschrieb, in Gedanken fortsetzte, so bildete sie einen gewaltigen Halbkreis vor der Küste, in dessen Zentrum Brandersgate lag.
    Und aus dem es absolut keinen Ausweg gab. Was ich bisher nur geahnt hatte, war nun zur Gewissheit geworden: Das winzige Dorf an der schottischen Küste war nichts anderes als eine gewaltige Falle.
     
    George schien sich damit abgefunden zu haben, dass er Howard nicht zum Bleiben überreden konnte, als Sill den Raum betrat und sie mit einem vorwurfsvollen Blick bedachte. »Wir sollten allmählich aufbrechen«, drängte sie. »Die Sonne steht bereits ziemlich tief. Ich habe wenig Lust, im Dunkeln da draußen herumzulaufen.« Sie betrachtete die silbernen Ringe auf dem Tisch. Schon als sich Howard angehört hatte, was sie mitzuteilen hatten, war sie davon fasziniert gewesen.
    »Wenn ihr schon nicht länger bleiben wollt, dann wartet wenigstens bis morgen«, unternahm George einen letzten Versuch. »Es wäre wesentlich sicherer.«
    Howard warf einen Blick aus dem Fenster. »Es ist noch früh genug«, meinte er. »Es dürfte noch gut eine Stunde hell bleiben und Sie sagten, dass wir nicht mehr als höchstens eine Viertelstunde brauchen würden, um Ihre Zeitmaschine zu erreichen.«
    »Schon.« George schüttelte resignierend den Kopf, als er einsah, dass er sie nicht umstimmen konnte. »Also gut, gehen wir.«
    Sill verließ den Raum als Letzte. Von der Tür aus beobachtete Howard, wie sie einen der Ringe blitzschnell in ihrer Manteltasche verschwinden ließ. Er verzichtete darauf, ihr deswegen Vorhaltungen zu machen. Es wäre eine Demütigung für die stolze Araberin, in Gegenwart anderer des Diebstahls bezichtigt zu werden, und so weit wollte er es nicht kommen lassen; anderseits wäre es aber auch zu gefährlich, einen solchen Gegenstand mit in die Gegenwart zu nehmen. Vielleicht ergab sich später eine Gelegenheit, sie zur Rede zu stellen

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