Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
griechischer Gottheiten tragen, ist völlig zeitlos und funktioniert aufs Beste als Satire auf die »Erstkommt-das-Fressen-und-dann-die-Moral«-Bierzeltseligkeit.
»Die Last des Bösen, oder: Vierzig Jahre später« ist der letzte Roman, den die Strugatzkis gemeinsam verfassten, ehe Arkadi 1991 starb, und er ist auch einer ihrer kompliziertesten Texte, wie Boris im Nachwort unumwunden zugibt. Der Roman versucht, einen Ausblick auf ein Russland vierzig Jahre nach dem Untergang der alten Sowjetunion zu geben, und verzahnt diese Vision mit der Geschichte eines auf die Erde zurückkehrenden Jesus, der wie üblich in solchen Geschichten gar nicht erbaut ist über das, was er da vorfindet.
Komplettiert wird der dritte Band der Werkausgabe von zwei Texten, die Arkadi Strugatzki mehr oder weniger allein geschrieben
(wenn auch zusammen mit seinem Bruder konzipiert) und unter dem lange Zeit geheimnisumwitterten Pseudonym »S. Jaroslawzew« veröffentlicht hat: »Aus dem Leben des Nikita Woronzow« und »Ein Teufel unter den Menschen«.
Nikita Woronzow war ein Mann, der nicht nur den Tag seines Todes im Voraus kannte, sondern sein Leben viele Male lebte, immer wieder zurückgeworfen in seinen jugendlichen Körper, mit den Erfahrungen eines unvollendeten Lebens versehen; eine gespenstische Geschichte.
In »Ein Teufel unter den Menschen« wird dem Leben eines Exmajors nachgegangen, der nicht nur in Tschernobyl gewesen war, sondern offenbar auch – womöglich deswegen? – seltsame Fähigkeiten besaß. Hat er sich wirklich mit überirdischen Kräften an allen Menschen gerächt, die ihm jemals Böses angetan haben? Oder war er einfach der Teufel?
Damit ist der dritte Band der Werkausgabe tatsächlich der anspruchsvollste, ehe im vierten eher abenteuerliche Stoffe zu lesen sind (darunter – als Ergänzung zur »Schnecke am Hang« – die erste, die Gorbowski-Version des Stoffes, eigentlich ein ganz anderes Buch).
Für solvente Liebhaber richtig altmodisch fest gebundener Bücher gibt es übrigens eine Luxusausgabe der auf sechs Bände angelegten Werkreihe, die neu gesetzt, mit Schutzumschlag, Lesebändchen und Buchschmuck versehen im Golkonda-Verlag erscheint. Die beinahe dekadente, in rotes Ziegenleder gehüllte Version ist bereits vergriffen.
Karsten Kruschel
MARCEL THEROUX
WEIT IM NORDEN (FAR NORTH)
Roman · Aus dem Englischen von Oliver Plaschka · Wilhelm Heyne Verlag, München 2011 · 431 Seiten · € 14, –
Der in Uganda geborene Marcel Theroux erwähnt es zwar angeblich nicht gern, aber er ist tatsächlich der Sohn des berühmten Reiseschriftstellers Paul Theroux. Möglich, dass ihn diese Ausgangsbasis sowohl zum Schreiben als auch zu seiner Arbeit als Gestalter
von TV-Dokumentationen in New York und Boston geführt hat. Für das Buch »The Confessions of Mycroft Holmes« erhielt er 2002 den Somerset Maugham Award. Mit »Weit im Norden« veröffentlichte er seinen mittlerweile vierten Roman und wird nun auch im deutschen Sprachraum bekannt.
»Jeden Tag gurte ich mir meine Waffen um und gehe auf Patrouille durch diese schäbige Stadt.«
So unmittelbar und eindringlich entführt uns Theroux schon mit dem allerersten Satz in eine Dystopie, die zugleich Vergangenheit (Wilder Westen) und Zukunft ist: zahlreiche Klimakatastrophen und Wirtschaftskrisen haben die Zivilisationen der Nordhemisphäre an den Rand des Abgrunds gebracht. Hier setzt Theroux offenbar an seine TV-Recherchen zum Thema Klimawandel an, was der Authentizität des Romans gut tut. Der vorläufig noch unbekannte Ich-Erzähler lebt (als ehemaliger Einwohner der USA) zurückgezogen im vereisten Sibirien und interessiert sich offenbar nur für zwei Ziele: zu überleben – und auf (freundlich gesinnte) Menschen zu treffen. Die Sprache ist so karg wie das Setting: Geprägt von kalter Erde und trostlosen Tagen beschränkt sich Makepeace, so der Name der Hauptfigur, auf die allerwichtigsten Schilderungen und gibt nur zögerlich etwas von sich preis. Kein Wunder, dass es viele Seiten braucht, bis wir überhaupt erfahren, dass Makepeace eine Frau ist.
Durch die nun allmählich spürbarere weibliche Sichtweise wird der Kontrast zur rauen, männerdominierten Wirklichkeit noch stärker. Wir befinden uns in einer Welt ohne Mitgefühl, ohne Annehmlichkeiten … und ohne große Hoffnungen. In einem lakonischen Stil, der manchmal an den Großmeister Cormac McCarthy erinnert (vor allem, da das Buch nicht lange nach dessen ähnlich dystopischem Meisterwerk
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