Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Sam Raimis Horrorfilmen The Evil Dead und The Evil Dead 2: Dead by Dawn – die gleiche Geschichte noch einmal erzählt, mit nur geringfügig variierten rhetorischen, inhaltlichen und motivischen Details. Der ziemlich frische dritte Teil, »The Woman«, ist da in produktions- und entwicklungstechnischer Hinsicht ein wesentlich reizvollerer Fall. Zunächst einmal ist die Geschichte von anderer Art. Eine junge, sehr große, sehr kräftige, sehr spitzzahnige und (aus guten Gründen, wie wir sehen werden) sehr zivilisierungsresistente Matriarchin des Kannibalen-Clans hat die Massaker des ersten und zweiten Teils als Einzige überlebt. Während sie die neuenglischen Wälder durchstreift, beobachtet sie ein junger Anwalt und Familienvater, der sich auf einem Jagdausflug befindet. Er beschließt, die wilde Frau einzufangen, was ihm auch gelingt; daraufhin kerkert er sie im Keller der heimischen Farm ein und stellt sie seiner Familie (Ehefrau, pubertierender Sohn, pubertierende Tochter, kleine Tochter und noch so einiges, von dem man lieber nichts wissen will) als gemeinsames Projekt vor: Dieses bemitleidenswerte Wesen soll kultiviert und zu einem funktionierenden Mitglied der Gesellschaft erzogen werden. Schnell erweist sich der Mann als das eigentliche Monster der Geschichte, das seine Frau schlägt, die Tochter missbraucht und seinem Widerling von Sohn ein äußerst schlechtes Vorbild liefert. Aber »Die Frau« entkommt schließlich ihrem Kerker und zeigt den Männern auf drastische Art, wo der familienwertige und zivilisatorische Hammer tatsächlich hängt. Ketchum verbindet hier den genretypischen Kannibalen-Horror mit der wesentlich wirklichkeitsgeerdeteren, ganz unmittelbar »gesellschaftskritischen« und daher unangenehmeren Folterstory von »The Girl Next Door« (dt. Evil ); Zentrum des Plots ist in beiden Fällen die gefolterte Frau. Im Falle von »The Woman« schrieb Ketchum den Roman jedoch nicht nur zusammen mit Lucky McKee, sondern arbeitete mit dem Regisseur auch parallel dazu am Drehbuch und der Entstehung der Filmversion, sodass beides ungefähr zeitgleich sowohl entstand als auch erschien und man daher nicht von einer Romanadaption im engeren Sinn, sondern vielmehr von einem homogenen, bimedialen Doppelprojekt sprechen kann. Keine der beiden Erscheinungsformen ist der jeweils anderen gegenüber defizitär. Und so wurde aus The Woman nicht nur der klügste und schlicht beste Teil der Kannibalen-Romantrilogie, sondern auch einer der schönsten und auf sehr erfüllende und hirnschmalzhochkochende Art lustigsten Horrorfilme der letzten Jahre. Das liegt nicht zuletzt an der beeindruckenden, die Titelrolle atemberaubend ausfüllenden Pollyanna McIntosh, die den allerhöchsten Respekt bis angemessene Furcht einflößenden Blick von animalisch gebückt unten nach opferungsfällig oben viel besser beherrscht als ihre kleine konstitutionstypische Schwester Milla Jovovich. Vor allem aber gründet die aufklärende Durchschlagskraft des Films in seiner Symbiose aus unverdruckstem Genrespaß und einleuchtend-unwiderlegbarer Haltung. Es ginge vielleicht zu weit, The Woman einen feministischen Horrorfilm zu nennen, aber die Aussagen lauten unmissverständlich: echter (Alltags- und Gesellschafts-) Horror hat grundsätzlich etwas mit der (mal subtilen, häufig offenen) Gewalt von Männern gegen Frauen zu tun; eine patriarchalische Gesellschaft kann gar nicht ohne diese Gewalt funktionieren; männliche Macht ist etwas zutiefst Widerliches und Armseliges. Dabei begehen Ketchum und McKee nie den Fehler der Verklärung des Natürlichen beziehungsweise »Wilden«. Es ist einfach unendlich wohltuend anzuschauen, wie die Titelfigur (als die Frau für das Weibliche insgesamt, also für alle gleich ihr ekelhafte männliche Martern erlittene Frauen stehend) den Kerlen diese Tatsachen schlussendlich einreibt. Wenn je eine echte Rachegöttin die Leinwand heimsuchte, so ist es The Woman – der göttliche Hybris und metaphysisches Gedöns völlig abgehen, weil das Warten auf himmlische Erlösung (zumal eines Himmels, der doch nur wieder mehrheitlich von Männern bevölkert wurde oder ist) zu lange dauert, weil es wirklich solidarische und fürsorgliche Familien zu gründen gilt (mit denen man den sich »kultiviert« nennenden verlogenen Mist kontern kann), und weil der herzhafte kannibalische Biss in ein frisch aus der Brust gerissenes männliches Herz (das ausschließlich für Böses und Feiges schlug) kein
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