Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heyne Galaxy 12

Heyne Galaxy 12

Titel: Heyne Galaxy 12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
Vom Netzwerk:
nicht. Wo war er? Er wollte fort von hier. Das Stehen bereitete ihm große Schmerzen, und doch setzte er sich langsam in Bewegung. Er mußte die MT-Station finden! Er brauchte dringend einen Arzt!
    Normalerweise wäre es Jomfri sofort aufgefallen, wie öde diese Stadt war, in der es keine Fahrzeuge, sondern nur Fußgänger zu geben schien und die keinerlei Verkehrszeichen oder Straßenschilder kannte. Es war, als ob niemand hier lesen oder schreiben konnte, als ob diese Kunst gesetzlich verboten wäre. Aber er hatte kein Auge für seine Umgebung; er wollte nur fort von hier. Vor einem Torbogen blieb er stehen und warf – durch Erfahrung klug gemacht – einen vorsichtigen Blick hindurch. Vor ihm lag eine Hoffläche, auf der hier und da grob gezimmerte Tische standen. Als Sitzgelegenheit dienten Planken, die an die Tischbeine genagelt waren. An einigen Tischen saßen Menschen; auf dem Mitteltisch stand ein kleines Faß, um das sich sechs Männer und eine Frau scharten. Die Gestalten waren ebenso farblos wie die sie umgebenden Wände; ihre Kleidung war einförmig grau, und nur hier und da leuchtete ein kleiner Farbfleck auf.
    Jomfri zog sich hastig zurück, als die Frau auf ihn zukam, und erkannte im nächsten Augenblick, daß sie alt war und zerzaustes Haar hatte und daß sie den Blick beim Gehen gesenkt hielt. Sie umfing die Plastiktasse mit beiden Händen und ließ sich an einem der naheliegenden Tische nieder. Trübsinnig starrte sie zu Boden.
    »Können Sie mir helfen?« fragte Jomfri und setzte sich an das andere Ende des Tisches, wo sie ihn weder treten noch schlagen konnte.
    Sie blickte verwundert auf und zog die Tasse näher zu sich heran. Als er still sitzenblieb und keine weitere Annäherung versuchte, blinzelte sie ihn an und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
    »Wollen Sie mir helfen?« fragte Jomfri. Er spürte, daß er im Augenblick nicht in Gefahr war.
    »Neu hier«, zischte der zahnlose Mund der Alten. »Gefällt Ihnen nicht, was?«
    »Ganz und gar nicht. Ich muß hier wieder weg. Könnten Sie mir den Weg zur nächsten MT-Station zeigen?«
    Die Greisin lachte meckernd und nahm schlürfend einen Schluck aus ihrer Tasse. »Einbahnstraße, Fangner, das weißt du doch! Das weiß man, bevor sie einen schicken. Auf der Straße nach Fangnis gibt's kein Zurück.«
    Als Jomfri dieses abgenutzte Klischee hörte, hielt er unwillkürlich den Atem an. Ihm war plötzlich sehr kalt. Die verwischte Erinnerung an einen Priester, der mahnend den Finger hob. Gab es so etwas wie einen Planeten Fangnis? »Das ist doch unmöglich!« sagte er in dem vergeblichen Versuch, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Gleichzeitig huschte sein Blick wie der eines gefangenen Tieres von Gebäude zu Gebäude, wanderte über die Tische und die Leute und kehrte schließlich zu der Alten zurück.
    »Doch«, sagte die Frau, und Jomfri hatte das Gefühl, als ob sie im nächsten Augenblick weinen würde – aber sie führte nur ihre Tasse an die Lippen.
    »Es muß ein entsetzlicher Irrtum vorliegen. Ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein.«
    »Das sagt jeder«, erwiderte sie verächtlich und hob eine zitternde Hand. »Aber das gibt sich bald. Wir sind alle Verbrecher, mein Sohn, aus unserer Heimat verstoßen, lebenslang und für alle Ewigkeit hierher verbannt. Früher hätte man uns umgebracht – das wäre besser gewesen als ein solches Leben hier.«
    »Ich habe von Fangnis gehört«, sagte Jomfri hastig. »Eine Welt, deren Lage niemand kennt – hier herrscht ewiger Tag.« Erschreckt bemerkte er das grelle Licht über dem staubigen Hof, das sich nicht zu verändern schien. »Unerwünschte, Verdammte, Schuldige, Unverbesserliche, Verbrecher – alle werden auf den Planeten geschickt. Also gut, hierher!« fügte er hinzu, als er ihr humorloses Lächeln bemerkte. »Ich werde mich nicht mit Ihnen streiten. Vielleicht haben Sie recht. Jedenfalls liegt in meinem Fall ein schwerwiegender Irrtum vor, der unbedingt richtiggestellt werden muß. Ich bin kein Verbrecher. Ich befand mich auf dem täglichen Heimweg. Meine Frau erwartet mich. Ich habe meine Nummer gewählt und habe mich … hier wiedergefunden.«
    Sie blickte ihn nicht mehr an, sondern starrte düster in ihre Tasse. Jomfri merkte plötzlich, daß sein Mund wie ausgedörrt war. »Was trinken Sie da? Würden Sie mir etwas abgeben?«
    Die alte Frau starrte ihn an, erhob sich und preßte die Tasse schützend an ihre Brust. »Gehört mir«, sagte sie. »Ich habe dafür

Weitere Kostenlose Bücher