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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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Kirchenfenster, die in tausend Stücke zerbersten.
    Ein bunter Scherbenregen geht auf die drei Männer auf der Empore nieder; es sind nur drei Männer: Kubiš von «Anthropoid», Opálka von «Out Distance» und Bublík von «Bioscope», die ganz genau wissen, was sie zu tun haben – den Zugang zur Treppe blockieren (darum kümmert sich Opálka), Munition sparen und so viele Deutsche wie möglich ins Kreuzfeuer nehmen und töten. Draußen verfallen die Angreifer in fieberhafte Aktivität. Sobald die Maschinengewehre verstummen, erfolgen neue Angriffswellen im Kirchenschiff. Man hört Pannwitz rufen: «Attacke! Attacke!» Mit genau gezielten Schüssen werden sie zurückgeworfen. Genauso schnell, wie die Deutschen in die Kirche stürmen, flüchten sie wieder wie geprügelte Welpen nach draußen. Zwischen den Angriffen feuern die deutschen Maschinengewehre lange und heftige Salven ins Kircheninnere, die das Mauerwerk zerfressen und alles Übrige pulverisieren. Während die MGs feuern, sind Kubiš und seine beiden Kameraden nicht in der Lage zurückzuschießen, sondern sie müssen warten, bis der Kugelhagel abgeklungen ist, und solange, so gut es geht, hinter den dicken Säulen in Deckung gehen. Glücklicherweise können auch die Angreifer ihre Deckung nicht aufgeben, sie stehen durch das MG-Feuer genauso unter Beschuss wie ihre Zielpersonen. Die Situation ist prekär für die drei Fallschirmspringer, doch die Minuten ziehen vorüber, werden zu Stunden, in denen sie weiter die Stellung halten.
    Als Karl Hermann Frank am Ort des Geschehens eintrifft, mag er noch naiverweise davon ausgehen, dass bereits alles vorbei ist – stattdessen muss er erstaunt erkennen, welches sagenhafte Chaos auf der Straße herrscht, und findet einen unter seiner Zivilkleidung und zu engen Krawatte völlig verschwitzten Pannwitz vor. «Attacke! Attacke!» Eine Angriffswelle nach der anderen wird abgewehrt. Aus den Gesichtern der Verletzten spricht Erleichterung darüber, aus dem Inferno hinausgezogen und notärztlich versorgt zu werden. Frank wiederum blickt sehr verärgert drein. Der Himmel ist blau, das Wetter sehr schön, doch das Donnern der Waffen muss die gesamte Einwohnerschaft aufgeweckt haben. Wer weiß, was in der Stadt erzählt werden wird? Frank hat ein ungutes Gefühl. Wie es das Procedere in Krisensituationen erfordert, macht der Chef seinen Untergebenen verantwortlich. Er verlangt, dass die Terroristen umgehend neutralisiert werden. Eine weitere Stunde später fliegen die Kugeln immer noch in alle Richtungen. Pannwitz wiederholt völlig außer sich «Attacke! Attacke!», doch die SS-Männer haben begriffen, dass sie die Treppe niemals einnehmen werden, und ändern ihre Strategie. Man muss das Nest von unten ausräumen. Schüsse aus der Deckung, Sturmangriffe, Gewehrfeuer, Handgranaten, bis die geschicktesten Werfer oder die mit dem meisten Glück einen Treffer landen. Nach drei Stunden des Angriffs erschüttert eine Serie von Explosionen das Chorgestühl, dann tritt Stille ein. Mehrere lange Minuten lang wagt niemand, sich zu bewegen. Schließlich wird beschlossen, oben nachzusehen. Der Soldat, der dazu auserkoren wird, die Treppe zu erklimmen, macht sich resigniert und verängstigt zugleich auf die Salve gefasst, die ihm den Garaus machen wird. Doch diese bleibt aus. Er betritt die Empore. Als sich der Rauch verzieht, entdeckt er drei reglose Körper. Einer davon ist tot und zwei bewusstlos und verletzt. Opálka ist tot, doch Bublík und Kubiš atmen noch. Pannwitz wird informiert und ruft einen Krankenwagen. Mit einer solchen Gelegenheit hat er gar nicht mehr gerechnet. Jetzt gilt es, die Männer am Leben zu halten, um sie verhören zu können. Einem der beiden wurden die Beine zerschmettert, der andere befindet sich in keinem besseren Zustand. Mit heulender Sirene rast der Krankenwagen durch Prags Straßen. Doch als er am Krankenhaus eintrifft, ist Bublík tot. Zwanzig Minuten später erliegt Kubiš seinen Verletzungen.
    Kubiš ist tot. Ich bedaure, das schreiben zu müssen. Ich hätte ihn gern besser kennengelernt. Ich hätte ihn gern gerettet. Gemäß der Zeugenberichte scheint es, dass sich am Ende der Empore eine zugemauerte Tür befand, die zu einem angrenzenden Gebäude führte und den drei Männern die Möglichkeit zur Flucht geboten hätte. Hätten sie diese Chance nur nutzen können! Die Geschichte ist das einzig wahre Verhängnis: Man kann sie immer neu interpretieren, sie aber nicht neu schreiben. Was ich auch

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