Hide (German Edition)
Mal das Gefühl, dass ich ihn zu Recht mochte oder sogar zu Recht so liebte, wie ich ihn eben liebte.
Wenn ich doch nur daran gedacht hätte, als wir so plötzlich das Farmhaus verlassen mussten, dann hätte ich Sams Geschenk mit dem Tagebuch meiner Mutter eingepackt. Jetzt bedauerte ich es nämlich zutiefst, dass es dort zurückgeblieben war.
Wie konnte dieser Sam, der Sam, in den ich mich im Labor verliebt hatte, derjenige sein, der meine Eltern umgebracht hatte?
Ich wollte es einfach nicht glauben. Ich dachte mir eine Erklärung nach der anderen aus, um die Sache zu begründen.
Vielleicht war er verwirrt gewesen. Vielleicht hatte er in Notwehr gehandelt.
Oder vielleicht irrte Onkel Will sich.
Ich suchte weiter in Sams Akten. Seitenweise Mitschriften von allen anfänglichen Untersuchungen. IQ -Testergebnisse. Eine Art Musterung. Selbst sein Schlafverhalten war protokolliert worden.
Dann sah ich mir die Dateien an, die ich anfangs übergangen hatte, weil sie solch nichtssagende Bezeichnungen trugen. VORLAGEN und WARTUNG . Im WEITERFÜHRENDES -Ordner sprang mir eine Datei mit dem Namen O’BRIEN ins Auge. Ich schaute noch einmal genauer und fand eine Datei mit der Bezeichnung O’BRIEN ZWISCHENFALL .
Wieso war mir die bisher entgangen?
Ich öffnete sie. Dort standen Daten und Zeiten von Verhören. Es fehlten viele Einzelheiten, denn offenbar war die Person, die die Informationen aufgeschrieben hatte, an jenem Abend nicht im Haus anwesend gewesen.
Aber es wurde auf ›einen zuverlässigen Augenzeugen‹ verwiesen, weshalb ich runterscrollte, bis ich seine Aussage fand.
Der Name der Person war nicht angegeben, aber es gab ein Protokoll der Befragung, die ein Sektionsagent durchgeführt haben musste.
Zeuge: Sam hatte eine Pistole. Er hat uns alle gezwungen, in den Flur zu gehen. Mr und Mrs O’Brien wollten ihre Tochter abschirmen, aber Sam hat sie sich geschnappt und mit sich zur Tür gezerrt.
»Niemand rührt sich«, hatte Sam gesagt.
Mr und Mrs O’Brien hielten die Hände hoch. Sam richtete die Waffe auf sie.
Agent: Was hat Dani gemacht?
Zeuge: Sie hat geweint und Sam gebeten, die Waffe wegzulegen.
Ich hielt inne. Mir hatte Dani erzählt, sie war an dem Abend nicht dort gewesen. Log sie? Oder erinnerte sie sich nur nicht daran? Hatte die Sektion ihr vielleicht auch diese Erinnerung genommen?
Ich las weiter.
Sam passte einen Moment lang nicht auf und Mr O’Brien wollte nach der Pistole greifen. Als Sam das bemerkte, schoss er. Mr O’Brien fiel zu Boden, Mrs O’Brien fing an zu schreien, weshalb Sam auch auf sie schoss.
Agent: Was passierte dann?
Zeuge: Dani stürzte sich auf ihn. Sie schrie und schlug auf ihn ein. Genau in dem Moment kamen die Agenten dazu und Dani floh durch die Hintertür.
Ich stellte den Laptop auf den Boden. Übelkeit stieg in mir hoch. Sam hatte wirklich meine Eltern getötet. Er war der Grund dafür, dass wir jetzt hier waren, dass wir überhaupt als Teil des Projekts im Labor des Farmhauses gelandet waren. Er hatte mein Leben zerstört. Er hatte mir alles genommen, was mir etwas bedeutete.
»Anna?«, sagte Dani und ich schreckte hoch. Es war mir völlig entgangen, dass sie hereingekommen war. »Cas und ich haben gerade überlegt, ob wir nicht was zu essen besorgen und …«
Ich eilte zu ihr und drückte ihr den Laptop fast ins Gesicht. »Lies.«
»Äh … Okay.« Sie nahm mir den Rechner ab und hielt ihn vor sich, um zu lesen. Es war offensichtlich, wann sie bei dem Teil über Sam angelangt war, denn sie schaute zu mir auf, Schmerz lag in ihren Augen. »Nein … Ich … Ich kann mich an nichts davon erinnern …«
»Er hat es getan. Sam hat sie umgebracht.«
»Vielleicht gibt es eine Erklärung.«
»Nein. Dort steht es schwarz auf weiß, Onkel Will war dabei und hat gesehen, dass er es war und …«
Dani stellte den Laptop auf den Boden und nahm meinen Kopf in beide Hände. »Wenn das stimmt …«
Ich schluckte gegen den Kloß an, der sich in meinem Hals gebildet hatte.
»Wo ist Nick?«, fragte sie und ließ mich los.
»Er hat sich schlafen gelegt, soweit ich weiß …«
»Du musst hier weg.«
»Wie bitte? Jetzt sofort?«
»Hast du überhaupt eine Ahnung, wie gefährlich das hier für dich ist? Wer weiß, zu was er sonst noch fähig ist. Mein Gott, ich kann einfach nicht glauben, dass er das getan hat.«
»Aber wo soll ich denn hin?«, flüsterte ich.
»Gibt es noch jemanden, dem du trauen kannst?«
»Nein … Also … Meinem
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