High Heels im Hühnerstall
Bella endlich beruhigt hatte. »Und ich schlafe heute Nacht bei euch beiden. Nirgendwo sonst bin ich lieber.«
16
Sophie wusste, dass es richtig war, mit Bella und Izzy deren Großmutter zu besuchen, wenn sie gerade einmal in London waren, aber sie war trotzdem froh, als sie Mrs Stiles’ Wohnung wieder verließen, obwohl sie vermutete, dass das möglicherweise der letzte Besuch gewesen war. Mrs Stiles hatte beachtlich abgenommen, seit Sophie sie das letzte Mal gesehen hatte, fast so, als wäre die Hälfte von ihr bereits gestorben, und die Tatsache, dass Mrs Stiles’ Zuhause etwas Zeitloses ausstrahlte, änderte nichts an der Atmosphäre der Endgültigkeit – gerade so, als träte man in dem Augenblick, in dem man durch diese Tür kam, aus dem Leben, und die Welt würde sich erst dann weiterdrehen, wenn man wieder ging.
Obwohl die Kinder ihre Großmutter liebten und sich immer freuten, sie zu sehen, hatte Sophie bemerkt, wie sie sich in ihrer Anwesenheit veränderten. Es waren kleine Unterschiede: Izzys natürliche Ausgelassenheit verschwand, und das strahlende, neugierige Funkeln, das stets in Bellas Augen zu sehen war, wirkte auf einmal gedämpft. Instinktiv passten sie ihr Verhalten dem Wesen der Frau an, einer Frau, von der Carrie immer behauptet hatte, sie glaubte, es wäre eine Sünde, das Leben allzu sehr zu genießen. Mrs Stiles war immer sehr freundlich zu den Mädchen, schenkte ihnen von dem abgestandenen Zitronenwasser ein, das sie eigens für ihre Besuche bereithielt, und gab ihnen Bonbons aus einer Papiertüte, auf der eine Zitronenschalenspirale abgebildet war.
Während Sophie beobachtete, wie sie jedem Kind zwei Bonbons reichte, versuchte sie diese zierliche, zerbrechliche Frau mit ihrer unerschrockenen und schönen Tochter in Einklang zu bringen. Carrie hatte fast ihr ganzes Leben lang gegen die strenge, emotional unterdrückende Atmosphäre angekämpft, in der ihre Mutter sie großgezogen hatte, entschlossen, dass ihre eigenen Töchter eine Kindheit haben sollten, die sie entbehrt hatte, voller Lachen, Spaß und Freiheit. Und obwohl es Sophies Pflicht war, die Kinder so häufig wie möglich zu Besuchen bei Mrs Stiles mitzunehmen, so hatten die Lautstärke der tickenden Uhr in dem stillen Wohnzimmer und die staubfreien Porzellanfiguren auf dem Kaminsims – viktorianische Tänzerinnen, die sich zu Musik drehten, die nur sie hören konnten – etwas an sich, was sie an Carrie erinnerte und in ihr den Wunsch nach Freiheit weckte.
Zur Freude der Kinder zog Mrs Stiles die Dose mit den alten Buttons hervor, die sie seit ihrer Kindheit gesammelt hatte, und stellte sie auf den Tisch, damit die Mädchen damit spielen konnten.
»Und wie geht es ihm?«, fragte Mrs Stiles sie, während sie die Mädchen aus der Küchennische heraus beobachteten. Sie sprach von Louis.
»Ihm geht es gut, danke«, antwortete Sophie. Mehr hatte sie noch nie über ihn gesagt. Carries Mutter hatte Louis immer abgelehnt, sogar bevor er hinter Carries Affäre gekommen und nach Peru davongelaufen war. Doch ab diesem Zeitpunkt hatte sie ihn als Schwächling und Feigling abgestempelt und sich kaum die Mühe gemacht, den Kindern zuliebe mit ihrer Meinung hinter dem Berg zu halten. Sophie war sich nicht sicher, wie sie reagieren würde, wenn sie das mit Seth, ihrer Verlobung und dem Baby herausfand. Carrie pflegte düstere und unheimliche Geschichten darüber zu erzählen, was passierte, wenn ihre Mutter die Beherrschung verlor, dass sie schrie und brüllte und sie stundenlang in ihr Zimmer einsperrte, doch Sophie war sich nie sicher gewesen, wie viel davon Carries Vorliebe für gute Geschichten zuzuschreiben war und wie viel der Wahrheit entsprach.
»Sind Sie und er noch immer …?« Mrs Stiles sprach auch nie gerne direkt von ihrer Beziehung mit Louis.
Sophie nickte und vermutete, dass das jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt war, um über die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung zu sprechen, doch sie hätte ohnehin nicht im Traum daran gedacht, mit Mrs Stiles darüber zu reden. Sie beobachtete, wie Carries Mutter die Kanne anwärmte, bevor sie kochendes Wasser über die losen Teeblätter goss, und verglich sie mit Grace Tregowan. Mrs Stiles musste mindestens fünfzehn, wenn nicht gar zwanzig Jahre jünger sein als Grace, aber Sophie konnte sich Mrs Stiles mit vier Ehemännern und darüber hinaus einer ganzen Reihe von Liebhabern genauso wenig vorstellen, wie sich Mrs Tregowan je die Mühe machen würde, eine Teekanne vorzuwärmen,
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