High Heels im Hühnerstall
wo es mit Teebeuteln für einen Becher doch so viel schneller ging. Das Alter ist kein Gleichmacher, stellte Sophie fest. Es führt einen nicht freundlich in eine Phase des Friedens und der Besinnung, in der Herz und Verstand irgendwie von der Welt abgeschottet sind – zumindest nicht, wenn man das nicht zuließ.
Bei Mrs Tregowan bedeutete das Alter zu fluchen, über Sex zu reden und auf Ehemann Nummer fünf zu hoffen. Bei Mrs Stiles gab es nur stille Seriosität, das Warten auf das unbemerkte Ende ihrer Tage ohne Hoffnung auf einen Schwanengesang oder ein letztes Auflehnen gegen das Schicksal, das ihr die Tochter genommen hatte, bevor sie sie überhaupt richtig kennengelernt hatte.
»Er arbeitet noch, oder?« Mrs Stiles schnupperte, als sie die Teeblätter in der Kanne umrührte.
Sophie nickte. »Ja, das Fotostudio läuft inzwischen wirklich gut.«
»Er hat von Carrie einiges bekommen«, stellte Mrs Stiles bitter fest. »Er hat von ihrem Tod ganz schön profitiert.«
»Die Mädchen haben die Sicherheit eines Zuhauses bekommen, und er konnte einen Betrieb aufbauen, mit dem er in der Lage ist, sie ordentlich zu versorgen. Carrie hätte sich nichts anderes gewünscht«, antwortete Sophie mit gesenkter Stimme. Sie behielt die Mädchen im Blick, für den Fall, dass sie zuhörten. Zum Glück schienen beide ganz in die Welt der Buttons vertieft zu sein. Sie bemerkte, dass Mrs Stiles’ Hand zitterte, als sie den hellen und fade wirkenden Tee in eine feine Porzellantasse einschenkte.
»Und wie geht es Ihnen?«, fragte Sophie mit absichtlich heiterer Stimme, während sie nach Tasse und Untertasse griff. »Geht es Ihnen gut?«
»Ich werde bald sterben«, antwortete Mrs Stiles, die ins Wohnzimmer schaute, wo die Mädchen die Köpfe über dem Button-Mosaik zusammensteckten und miteinander schwatzten.
Mrs Stiles hatte fast seit ihrer ersten Begegnung stets erklärt, dass sie bald sterben würde. Selbst als Sophie und Carrie noch Teenager waren und klar war, dass die Frau fit wie ein Turnschuh war, hatte sie ihren Blutdruck, ihre Migräneanfälle oder die Familiengeschichte der Herzinfarkte als Gründe für ihr baldiges Ableben angeführt. Dieses Mal jedoch, dachte Sophie, als sie sie in dem kühlen Nachmittagslicht betrachtete, das irgendwie den Weg durch die schweren Vorhänge fand, war es fast so, als wäre ein Teil von ihr bereits gestorben und hätte eine Art Geist zurückgelassen, der so hinfällig war, dass er beinahe transparent wirkte.
»Ich will nur Gewissheit haben, dass die beiden gut versorgt sind, dass jemand, von dem ich sicher weiß, dass er sich nicht aus dem Staub macht, sich richtig um sie kümmert.« Mrs Stiles musterte Sophie von Kopf bis Fuß und deutete auf den Ring. Sophie hatte es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschafft, die Verlobung zur Sprache zu bringen. »Du heiratest ihn, du bist für die beiden eine Mutter, wie Carrie es gewesen wäre … wie sie es war. Und du versprichst mir, dass du sie, wenn das da auf die Welt kommt, genauso behandeln wirst wie jetzt und ihnen nie das Gefühl gibst, im Stich gelassen oder allein zu sein.« Mrs Stiles hatte in Richtung von Sophies Bauch genickt und die Stimme gesenkt.
»Das da? Sie meinen? Oh, nein, ich bin nicht …« Sophie hielt unter Mrs Stiles’ starrem Blick inne. »Niemand weiß davon«, flüsterte sie. »Keiner.«
Mrs Stiles nickte. »Nun, ich werde es bestimmt niemandem sagen, du brauchst dir in diesem Punkt also keine Sorgen zu machen.«
»Vielen Dank«, sagte Sophie und drückte kurz die Hand flach auf den Bauch – eine unbewusste Beschützergeste.
»Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, seit Carrie gestorben ist«, fuhr Mrs Stiles mit leiser Stimme fort, sodass die Mädchen sie nicht hören konnten. »Ich war keine gute Mutter, vielleicht hätte ich eigentlich weder Mutter noch Ehefrau werden sollen. Ich habe ihren Vater vertrieben, weil ich nie zufrieden war, und nachdem er fort war, habe ich ständig versucht, Carrie festzunageln, sie wie einen Schmetterling gefangen zu halten – aber wozu? Ich bin froh, dass sie sich gegen mich zur Wehr gesetzt hat und das Leben hatte, das sie sich wünschte, selbst wenn das schwierig und manchmal hart war, und ich bin froh, dass sie diesen Mädchen den Geist und das Feuer und die Fantasie vererbt hat, die sie von irgendwoher geerbt hatte, aber weiß Gott nicht von mir. Jetzt ist sie tot, und das werde ich auch bald sein, und meiner Meinung nach bist du der einzige Mensch, dem diese Mädchen
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